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Russischer Menschenrechtsbeauftragter beklagt mangelndes Problembewusstsein

22. Februar 2007

Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, war zu Gast in Berlin. In einem Vortrag bezog er Stellung zu seinem Arbeitsalltag, seiner beschränkten Macht und Beschwerden aus der Bevölkerung.

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Bürger beschweren sich auf dem PostwegBild: DW

Wladimir Lukin hat eine heikle Aufgabe. Er soll den russischen Machthabern ihre Fehler in der Menschenrechtspolitik deutlich machen. Und die gibt es ohne Zweifel: Die Meinungsfreiheit und die Arbeit der Opposition werden eingeschränkt, die Polizei handelt willkürlich und Fälle von rassistischer Gewalt gibt es auch. Doch wie kritisch darf man in Putins System werden, wenn man mit seinem Amt eine bestimmte, eben die offizielle Seite Russlands vertritt? Wird der Menschenrechtsbeauftragte von der Regierung überhaupt ernst genommen? Wladimir Lukin meint: "Ich bin in meiner Arbeit insofern eingeschränkt, als ich keine Macht besitze. Wenn ein Menschenrechtsbeauftragter eine gewisse Autorität hat, können seine Empfehlungen trotzdem in die Tat umgesetzt werden. Der Präsident hat mit mir fast nie über das gestritten, was ich ihm beizubringen versucht habe. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass meine Vorschläge in die Praxis umgesetzt werden, ist von 100 Prozent weit entfernt."

Passive Bürger

Vor drei Jahren wurde Wladimir Lukin zum russischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Angebot, dieses Amt zu besetzen, kam persönlich von Präsident Wladimir Putin. Dafür musste der Mitbegründer der liberalen Oppositionspartei "Jabloko" sogar seine Parteimitgliedschaft ablegen, denn das russische Gesetz verlangt von einem offiziellen Menschenrechtsbeauftragten politische Neutralität.

Lukin sagt, dass er sich seither vor allem mit den Beschwerden von einfachen Bürgern beschäftigt. Sie lassen sie ihm per Brief zukommen. Gerade einmal 30.000 Meldungen waren es im vergangen Jahr. Nicht viel für das Land, in dem über 140 Millionen Menschen leben und allein die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) jeden Tag mehrere Hunderte Menschenrechtsverletzungsfälle registrieren. Was ist der Grund hierfür? "Das Hauptproblem in der Menschenrechtspolitik Russlands ist das fehlende Rechtsbewusstsein und die mangelhafte Rechtsaufklärung. Unsere Bürger wissen nicht immer, welche Rechte sie besitzen. Unsere Bürger sind unterdrückt, weil sie jeden Tag ums reine Überleben kämpfen und deshalb sehr passiv sind, um sich für ihre eigenen Rechte einzusetzen. Die Mehrheit der Menschen in Russland haben keine Vorstellung, was sie mir ihren Rechten anfangen können, und unterschätzen enorm ihre Möglichkeiten, sich in die Politik einzumischen. Das ist das Hauptproblem."

Soziale Schieflage

Wladimir Lukin glaubt, dass es nicht im Interesse der russischen Politik liege, das Rechtsbewusstsein der Menschen zu stärken. Seine Forderung, sich hier zu engagieren, fand bis jetzt bei seiner Regierung kein Gehör. Vielleicht auch deshalb beschwert sich die Hälfte der russischen Menschen bei ihrem Menschenrechtsbeauftragten vor allem über soziale Schwierigkeiten. Zum Beispiel darüber, dass Gehälter nicht ausgezahlt werden oder Renten unter dem Existenzminimum liegen, sagt Lukin: "In Russland gibt es eine riesige Kluft zwischen Arm und Reich. Einige Menschen sind sogar der Meinung, dass das heutige Glamour-Leben, das heute fünf Prozent der russischen Bevölkerung genießt, gut sei und die anderen irgendwie schon selbst klar kommen. Wenn wir das nicht ändern, wird das Volk protestieren. Diese Kluft muss man schnell schließen. Nur unter solchen Bedingungen kann die Situation mit Menschenrechten wenigstens ein bisschen annehmbar sein. Es gibt auch andere Fälle, die ich hier erwähnen könnte. Aber danach, fürchte ich, werden meine Zuhörer schlecht schlafen."

Reagieren statt handeln

Dazu gehört wohl die andere Hälfte der Beschwerden, die Wladimir Lukin in seinem Amt bearbeitet. Sie betreffen seinen Angaben zufolge die Korruption und Willkür bei den Behörden. Und zwar auf allen Ebenen: von gewalttätigen und furchterregenden Polizisten auf der Strasse bis hin zu Fällen von ungerechtfertigen Gerichtsprozessen und schlechten Bedingungen in den Gefängnissen. Wladimir Lukin sagt, dass er bei seiner Arbeit meist nur reagieren kann. Nur manchmal ergreift er selbst die Initiative, um eine Öffentlichkeit für regierungskritische Fälle zu schaffen. So hat er sich auch in Berlin zurückhaltend sowohl zum Fall Chodorkowski geäußert, als auch zur Einschränkung der Tätigkeit von NGOs.

Wie soll es mit der Bürgergesellschaft in Russland also weiter gehen? Diese Frage, die sich hinter dem Namen der Veranstaltung in Berlin "Quo vadis - Russlands Bürgergesellschaft unter Präsident Putin" verbarg, ließ Wladimir Lukin ohne eine klare Aussage unbeantwortet. Es ist eben nicht einfach, Menschenrechtsbeauftragter Russlands zu sein.

Oxana Evdokimova
DW-RADIO/Russisch, 22.2.2007, Fokus Ost-Südost