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Die Antirassisten sind ziemlich allein

Ronny Blaschke
17. Juni 2018

Diskriminierung gehört zum Alltag des russischen Fußballs. Die Weltmeisterschaft könnte einen Kulturwandel anstoßen. Doch die Ideen fortschrittlicher Fans werden selten belohnt.

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Russland Moskau - Robert Ustian der CSKA Fans Against Racism monitoring group
Der Moskauer Anti-Rassismus-Aktivist Robert UstianBild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Der Schock bei Robert Ustian wirkte lange nach. 1:5 hatte sein Lieblingsteam ZSKA Moskau bei der AS Rom verloren, doch diese Niederlage war harmlos. Moskauer Fans warfen Böller und attackierten Polizisten, gaben rassistische Gesänge von sich und zeigten Nazi-Symbole. "Einige Leute haben unserem Verein massiven Schaden zugefügt", sagt Ustian. "Wir waren ihre Geiseln, aber das wollten wir uns nicht mehr gefallen lassen."

Ustian trommelte seine Freunde zusammen. Der 34-Jährige verfasste einen Artikel für einen Blog, veröffentlichte Botschaften und Bilder in sozialen Medien. Sie gründeten die "ZSKA-Fans gegen Rassismus", die erste antirassistische Basisbewegung im russischen Fußball. Vier Jahre sind nun vergangen - bis heute ist sie die einzige geblieben.

Auch Toleranz soll Identität stiften

Wenige Tage vor der WM werden viele Berichte über Hooligans und Neonazis veröffentlicht. Sie erinnern an russische Schläger bei der EM 2016 in Frankreich, auch an düstere Auswüchse im Ligaalltag: an Hakenkreuzfahnen oder Manifeste für "weiße Helden". Was jenseits dieser gefährlichen Minderheit weniger analysiert wird, ist das gesellschaftliche Fundament. Menschenfeindliche Einstellungen sind in breiten Teilen der russischen Bevölkerung verankert - auch dadurch fühlt sich die rechtsradikale Speerspitze in ihrem Handeln legitimiert. Eine wichtige Frage dabei: Kann die Begegnungsbühne WM daran langfristig etwas ändern?

Euro 2012 Polen - Russland
Russische Fußballanhänger bei der Europameisterschaft 2012 in Polen und der UkraineBild: picture-alliance/dpa

Robert Ustian wuchs in Abchasien auf, einer Region im Süden des Kaukasus. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR hatte es seine Familie finanziell nicht leicht, der Konflikt mit Georgien wurde mit Waffen ausgetragen. Die Leidenschaft für ZSKA Moskau habe seinen Alltag erleichtert, sagt Ustian. Er studierte Wirtschaft, kam viel herum, für den Fußball zog er nach Moskau. Und Ustian hat sich die Leidenschaft bewahrt: Mit kräftiger Stimme wirbt er für eine vielfältige Fankultur. "Auch Toleranz und Internationalität können bei Fans Identität stiften", sagt er. Das Problem: Fußball-Aktivisten mit einem vergleichbaren Wissen lassen sich in Russland an wenigen Händen abzählen.

Glitzerereignis überdeckt den Alltag

Der Fußball-Weltverband FIFA wusste schon vor Jahren, dass kritische Fragen auf ihn zukämen. Gemeinsam mit dem Antidiskriminierungsnetzwerk Fare wurden seit 2013 Beobachter geschult, die Diskriminierung während der Spiele dokumentieren sollten. Auch Schiedsrichter sind theoretisch dazu angehalten, Spiele bei Rassismus auf den Rängen zu unterbrechen. Viel wird darüber spekuliert, ob Nationalspieler nun eine Entscheidung wie Kevin-Prince Boateng 2013 treffen würden: Der Ghanaer hatte nach Schmähungen bei einem Testspiel mit seinen Kollegen des AC Mailand das Spielfeld verlassen. Einen ähnlichen Fall hat es bei milliardenschweren Wettbewerben wie EM oder WM noch nicht gegeben.

Ohnehin dürfe das Glitzerereignis WM die Schattenseiten des Alltags eher überdecken. Die nun wesentlich höheren Stadiontickets werden ein anderes Publikum anziehen als in der Liga, und die oft rechten Ultras der Vereine interessieren sich weniger für Megaevents. "Es war nicht leicht, bei den Führungskräften des Fußballs eine Bereitschaft für Prävention zu wecken", sagt Elena Erkina. Die 34 Jahre alte Soziologin aus St. Petersburg war als erste Frau in das Sicherheitskomitee des Russischen Fußballverbandes berufen worden. Dort warb sie für mobile WM-Fanbotschaften als Plattform für eine freundliche Willkommensatmosphäre.

Elena Erkina
Soziologin Elena ErkinaBild: DW/R. Blaschke

Doch vorbeugende Maßnahmen wurden von der russischen Politik lange anders interpretiert: mit Fangruppenverboten, Vorratsdatenspeicherung, warnenden Hausbesuchen bei Hooligans. Erst in jüngerer Vergangenheit hat sich daran etwas geändert, zumindest an der Oberfläche: Der Kreml hat eine PR-Agentur engagiert, die freundliche Bilder postet. An kalten Tagen wurden Zuschauern Decken, Tee und Süßes gereicht. "Wir müssen auch an die nächste Generation denken", sagt Elena Erkina, die während der WM Workshops und Fanturniere plant. "Viele junge Fans werden in Fanszenen allein gelassen. Sie haben ein verschwommenes Weltbild und lassen sich oft von rechtsextremen Gruppen rekrutieren. Wir möchten ihnen klar machen, dass sie sich auch mit einer offenen Fankultur identifizieren können. Diese Arbeit kostet Zeit und Geld."

Es gibt mehr Probleme als Rassismus

Elena Erkina möchte keine Hierarchie der Diskriminierungen gelten lassen, es gebe weit mehr Probleme als Rassismus. Das Riesenland Russland mit seinen hundert ethnischen Gruppen sucht noch immer eine übergreifende Identität. Viele Menschen kompensieren ihre sozialen Sorgen mit Ablehnung gegen "äußere Feinde", vor allem Minderheiten aus dem Kaukasus und Zentralasien. Fans von Vereinen wie Achmat Grosny oder Anschi Machatschkala bekommen dies bei Spielen in Moskau besonders zu spüren. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Lewada sprechen sich mehr als sechzig Prozent der Bevölkerung gegen jegliche Migration aus.

Russische Hools

Robert Ustian und Elena Erkina erhalten von internationalen Organisationen fast genauso viele Einladungen wie von russischen. "Das Linke hat aufgrund der negativen Folgen der kommunistischen Geschichte einen schweren Stand in Russland", schreibt der Osteuropa-Aktivist Ingo Petz im WM-Reiseführer der Initiativen "Fankurve Ost" und "n-ost". Das Engagement gegen Rassismus ist für Robert Ustian jedoch nicht links, sondern ein Mindeststandard: "Ob wir erfolgreich sind, werden wir erst lange nach der WM sehen."