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Russische Avantgarde auf Westtour

Christine Gruler8. Juli 2003

Die derzeit wichtigsten russischen Bands und internationale Vertreter der Avantgarde- und Clubszene gaben in Berlin Sergey Kuryokhin die Ehre. Festivalbesucher sind nicht überzeugt von diesem Cocktail.

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Sergey Kuryokhin in AktionBild: skif-berlin

Heulende Saxophone, harte Gitarren-Riffs und der Meister selbst am Piano: Sergey Kuryokhin war mehr als ein Musiker. Er gilt als Vater der russischen Jazz- und Avantgardemusik. Die Bühnenshows seines legendären Band-Projekts "Pop Mechanika" gerieten zum Happening. Männer in schwarzen Anzügen und mit Sonnenbrillen schaukelten lebendige Schweine im Rhythmus einer ungewöhnlichen Klangfusion, andere wippten mit Blumensträußen im Takt.

Das war 1987. Der Eiserne Vorhang trennte noch Ost und West, als Kuryokhin mit "Pop Mechanika" Berlin-Premiere feierte. Im Rahmen der Russischen Kulturtage brachte das SKIF-Festival (Sergey Kuryokhin International Festival) nun (4./5. Juli 2003) die angesagtesten Bands der russischen Independent-Szene mit internationalen Weggefährten und Befürwortern des verstorbenen Klangpioniers an der Spree zusammen. Eine Mischung, die nicht glückte.

Spontaneität in Live-Acts bei SKIF Berlin

Messer Chups
Messer ChupsBild: skif-berlin

Dabei begann alles ganz vielversprechend. Trotz Regenschauern tanzten Fans ausgelassen vor der Bühne im Hof der Berliner Kulturbrauerei zu den Klängen von "Billys Band", einem russischen Tom-Waits-Verschnitt. Und sie tanzten zu Musik von "RotFront", einer wilden Mischung aus Rock und Reggae, Klezmer und Ska: "Russendisko"-Atmosphäre - wie bei den inzwischen bekannten Veranstaltungen mit Wladimir Kaminer. Kein Wunder, denn Frontmann von "RotFront", einer zehnköpfigen Berliner Band, ist "Russendisko"-DJ Yury Gurzhy. "Wir stehen für die neue Welle der Weltmusik, die nächste Phase - wenn das überhaupt zu beschreiben ist", sagt Gurzhy selbstbewusst. Technische Perfektion scheint dabei weniger wichtig zu sein. Es geht um die Spontaneität der Live-Acts.

Spätestens mit "Auktyon", einer Leningrader Formation, wurde dieses Konzept am Festivalabend umgesetzt: Für theatralische Präsenz sorgt hier schon seit den 1980er Jahren Oleg Garuschka, ein blonder Hüne, der wie Frankensteins Kreatur ungelenk über die Bühne tobt. "Jede Band hat einen guten Musiker und einen, der Show macht," erklärt Mischa, ein Festivalbesucher - und stürzt eilends vor die Hauptbühne im Kesselhaus.

"Ein wenig geglückter Cocktail"

John Cale
John CaleBild: skif-berlin

Ein langer Umbau ließ die Spannung steigen. Bevor Rocklegende John Cale auftrat, erfüllten minutenlang elektronisch verzerrte Geigentöne den Raum. Als der Brite dann endlich in die Tasten seines Keyboards greift, ist das Festival auf seinem Höhepunkt angelangt. Oder doch nicht: Kein Zappeln mehr, kein Tanzen, kein Hüpfen - nur noch ehrfürchtiges Staunen und Hören. Cale überlässt nichts dem Zufall, hier ist alles durchkomponiert.

"Die Luft ist draußen", sagt eine Gruppe junger Russen. Als zu glatt und zu gewollt empfinden sie den Auftritt des musikalischen Wunderkindes Cale, der 1969 zur legendären amerikanischen Kultband "The Velvet Underground" gestoßen war. Sie wollen lieber "Auktyon" - ein Name, der für Energie, Satire und Authentizität steht. "John Cale passt da nicht rein, er ist zu abgecoolt", sagt Alexander, der extra aus Hannover zum Festival gefahren ist. Es handele sich seitens der Veranstalter um den angestrengten Versuch, international und Multikulti zu sein, mutmaßt er: "Das ist ein wenig geglückter Cocktail."

Ole Lukkoye
Ole LukkoyeBild: skif-berlin

Und tatsächlich – zurück im Kesselhaus müht sich die Sankt Petersburger Underground-Band "Ole Lukkoye" umsonst, die Stimmung noch einmal aufzuheizen. Aber das hat wohl auch andere Gründe. Psychodelische Lightshows und hypnotische Trance-Rhythmen liegen nicht im Trend der Zeit. "Ole Lukkoye" seien für die Früh- und Späthippies, schreiben die Veranstalter. Doch die überwiegend jungen Besucher des Berliner SKIF-Festivals zählen nicht dazu.