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Rundfunk in Deutschland: Staatsferne oder Staatsfreiheit?

Michael Gessat26. März 2014

Der Einfluss von Staat und Parteien auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk darf ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreiten, so lautet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Manch einem geht das nicht weit genug.

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Symbolbild - ZDF (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Fernsehrat und Verwaltungsrat, so heißen die beiden Aufsichtsgremien, in denen entschieden wird, wohin das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) journalistisch und auch wirtschaftlich steuert - und hier wird es demnächst einige personelle Veränderungen geben müssen. Der Anteil der Vertreter von Staat und Parteien in diesen Gremien dürfe nämlich maximal ein Drittel betragen; mehr sei verfassungswidrig, so lautete der Spruch des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Dienstag (25.03.2014). Aber das Urteil der Karlsruher Richter betrifft, darüber sind sich die juristischen Experten einig, nicht nur das ZDF allein, sondern im Grundsatz auch alle anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland. Die Aufsichtsgremien der Sender, so hieß es bei der Urteilsverkündung, müssten "nach den Grundsätzen der inhaltlichen Vielfaltssicherung und der weitgehenden Staatsferne ihrer Mitglieder" zusammengesetzt sein. Der Rundfunk dürfe nicht durch den Staat instrumentalisiert werden.

Gefahr für die Pressefreiheit

Der Richterspruch und die Drittel-Quote entsprachen dem, was zum Beispiel die Journalistengewerkschaft DJV empfohlen hatte. Auch Christian Mihr, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen" Deutschland, begrüßt im Gespräch mit der DW das Urteil aus Karlsruhe: "Wir sind tatsächlich auch zufrieden, weil wir die Struktur und die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien immer wieder moniert haben." Mit einer Kritik am deutschen Rundfunksystem klage man natürlich, verglichen mit den Zuständen in anderen Ländern der Welt, auf "relativ hohem Niveau. Aber wir haben tatsächlich in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass eben diese Gremien dazu geführt haben, dass zum Teil auch Chefredakteursposten, also originär journalistische Posten nicht nach journalistischer Qualifikation, sondern eben nach tatsächlicher oder oft auch nur vermuteter Parteinähe besetzt wurden." Und das sei, so das Fazit von Christian Mihr, dann am Ende eben tatsächlich ein "Eingriff in die journalistische Unabhängigkeit und ein Angriff auf die Pressefreiheit".

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen
Ist mit dem Urteil zufrieden: Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne GrenzenBild: Reporter ohne Grenzen

Öffentlich-rechtliche Farbenlehre

Mit seiner Kritik steht "Reporter ohne Grenzen" nicht allein: Dass es in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunk- oder Fernsehanstalt in Deutschland bei der Besetzung von Posten ab einer bestimmten Hierarchieebene nicht mehr nur allein um die jeweilige fachliche Qualifikation geht, gilt als offenes Geheimnis. Chefredakteure, Programmdirektorinnen oder die Intendanten an der Spitze der Sender - bei ihrer Bestellung spielt stets auch der politische "Proporz" eine Rolle, das Gleichgewicht zwischen den beiden großen Lagern in der deutschen Politik. Die allermeisten Kandidaten für Leitungsfunktionen "reisen", so lautet eine gängige Formulierung von Kritikern, entweder "auf dem roten oder auf dem schwarzen Ticket": sprich, sie sind Mitglied einer der großen Parteien SPD oder CDU/CSU oder stehen einer Partei zumindest politisch nahe. Die Personen, die sich einem der Lager nicht so eindeutig zuordnen lassen, werden nach dieser Farbenlehre als "bunt" oder "grau" bezeichnet - und eignen sich trefflich als Kompromisskandidaten.

Steine aus dem Glashaus

Normalerweise klappt das ausbalancierte Spiel der Kräfte in den Aufsichtsgremien der Sender reibungs- und geräuschlos. Nur manchmal scheppert es richtig - am bislang heftigsten im Jahr 2009. Damals waren die Vertreter von CDU und CSU im Verwaltungsrat des ZDF in der Mehrheit und hatten ohne jegliche Bereitschaft zu Kompromissen oder "Kompensationsgeschäften" verhindert, dass der Vertrag des damaligen Chefredakteurs Nikolaus Brender verlängert wurde. Die Sache hatte heftiges Aufsehen in der deutschen Öffentlichkeit erregt und war auch der Auslöser für das jetzige Urteil. Die unterlegenen "Roten" im Verwaltungsrat des ZDF, namentlich die Ministerpräsidenten der SPD-regierten Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg hatten Verfassungsklage erhoben. Im Klartext: Zwei Institutionen des Staates forderten die Hüter des Grundgesetzes auf, doch einmal zu überprüfen, ob der Staat nicht zuviel Einfluss auf den Rundfunk hätte.

Roland Koch (links) und Nikolaus Brender (Foto: dpa)
Der damalige Ministerpräsident Koch verhinderte die Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Brender (r.)Bild: picture-alliance/dpa

Rechtsklarheit aus Karlsruhe

Klingt paradox, ist es aber nicht, sagt der Medienrechtler Prof. Hubertus Gersdorf von der Universität Rostock: Die SPD-geführten Bundesländer hätten bei ihrer Klage wohlweislich nicht vorgetragen, dass der Staat überhaupt keine Berechtigung habe, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sitzen. "Sondern die Länder wollten nur konkretisiert wissen, wie hoch der Staatseinfluss nun sein darf, damit er verfassungsrechtlich in Einklang steht." Genau das habe Karlsruhe nun präzisiert - ein Drittel Einfluss, ein Drittel Gremienvertreter sei legitim, mehr allerdings nicht. Das Verfassungsgericht habe mit seiner Entscheidung für Rechtsklarheit gesorgt, das sei grundsätzlich positiv zu bewerten, sagt Gersdorf. Aber: "Das bedeutet noch nicht, dass man mit diesem Urteil und dieser Rechtsklarheit einverstanden sein muss."

Wer kontrolliert eigentlich wen?

Die ganz große Frage sei nämlich, so der Medienrechtler, ob die von Karlsruhe eingeforderte Reduzierung der Staats- und Parteiquote in den Aufsichtsgremien beim ZDF und möglicherweise auch bei anderen Rundfunkanstalten überhaupt einen nennenswerten Effekt hätte - wie dies ja die positive Resonanz auf das Urteil quasi unterstelle: "Wenn man sich anschaut, dass die Quote bislang bei gut 40 Prozent lag, und jetzt auf 33 reduziert wird - ändern wirklich diese zehn Prozent etwas Maßgebliches an der politischen Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?"

Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Uni Rostock (Fotot: privat)
Hubertus Gersdorf: Staatseinfluss auf den Rundfunk ganz abschaffenBild: Gersdorf

Eigentlich sei in einer Demokratie doch die Presse, der öffentlich-rechtliche Rundfunk die sprichwörtliche "dritte Gewalt", also selbst eine Kontrollinstanz, findet Gersdorf. Journalisten müssten ohne Furcht vor unliebsamen beruflichen Konsequenzen kritisch über politische und wirtschaftliche Fehlentwicklungen berichten können, Missstände und Skandale investigativ aufdecken. Der Medienrechtler hält daher im Gegensatz zu den Karlsruher Richtern einen Einfluss des Staates auf den Rundfunk insgesamt für unzulässig; nicht erst ab 34 Prozent Quote, sondern schon ab einem Prozent. Er ist nicht nur für Staatsferne bei den Sendern, sondern für Staatsfreiheit: "Ich bin der Auffassung, dass diejenigen, die durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrolliert werden sollen, und das sind die Politiker, nicht selbst in dem Kontrollgremium sitzen sollen, weil sonst der Kontrollvorgang Schaden nimmt." Der durch das BVG-Urteil eingeschränkte, aber im Grundsatz weiter zulässige Einfluss sei nicht im Interesse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und letztlich auch nicht verfassungskonform, so lautet Gersdorfs Einschätzung: "Ich glaube, dass diese Entscheidung nicht das letzte Wort sein wird."