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Rumänien im Gründerfieber?

Sebastian Schug12. Februar 2016

Gute Wirtschaftsdaten, erfolgreicher Kampf gegen Korruption und eine nahezu gestoppte Abwanderung. Rumänien schüttelt sein negatives Image ab. Ein Blick auf das neu erwachte Vertrauen der Bürger in ihre Zukunft.

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Rumänien Panoramaansicht Hermannstadt Foto: picture alliance/robertharding/M. Runkel
Bild: picture alliance/robertharding/M. Runkel

Die Geschichte wirft lange Schatten, so heißt es im Volksmund. Rumänien, eines der jüngsten EU-Mitglieder, hat genug Geschichte und genug Schatten erlebt. Heute befindet sich das Land im Aufbruch - 27 Jahre nach der Revolution, der Hinrichtung des Staatschefs Ceausescus und dem Ende des Kommunismus. Korruption und Rumänien, das waren seit dieser Zeit zwei eng verknüpfte Begriffe, bis jetzt. Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission 2012 bemängelte den Druck der Regierung Ponta auf die Justiz als größtes Problem des Landes. Ganz anders der Bericht im Dezember 2015, hier wird dem früheren Sorgenkind unter den EU-Neumitgliedern eine "beeindruckende Dynamik" bei der Korruptionsbekämpfung bescheinigt, als Teil eines erkennbar nachhaltigen Prozesses. Was ist passiert?

Nach Jahrzehnten, in denen das Land mit den Folgen des Kommunismus zu kämpfen hatte, beginnt eine grundlegende Veränderung. Verantwortlich dafür ist die Bevölkerung, die einerseits den Druck auf die Regierenden erhöht und andererseits selbst wieder mit Hoffnung in die Zukunft blickt. Schon diese leise Hoffnung auf einen Neuanfang bringt junge Rumänen aus der Diaspora dazu, in ihr Heimatland zurückzukehren. Sie kommen mit der Hoffnung auf politischen Wandel, auf Arbeit und dem Willen, selbst die Veränderung in die Hand zu nehmen, die sie sich für ihr Land wünschen. Sind das die Gründer von morgen?

Herrschaft des Rechts statt Korruption

Maria Desmons-Macrea arbeitet als Beraterin für Gründer, nach vielen Jahren im Ausland ist sie 2014 nach Rumänien zurückgekehrt. Ihr Antrieb waren die spürbaren Veränderungen im Land, sie sagt: "Rumänien ist (..) momentan ein toller Ort, da man sehen kann, wie sich das Land von Tag zu Tag wandelt." Das manifestiert sich vor allem in der Anti-Korruptionsbehörde DNA. Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 hat die Behörde mehrfach für Aufsehen gesorgt. Nicht nur Lokalpolitiker sind ins Visier der Behörde geraten, ermittelt wird auch gegen den damaligen Ministerpräsidenten Victor Ponta sowie ausgerechnet Staatsanwältin Alina Bica, Chefin der Direktion zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und Terrorismus.

Maria Desmons-Macrea Foto: privat
Gründerberaterin in Sibiu: Maria Desmons-MacreaBild: Privat

Das gleicht einem Paukenschlag, erstmals seit dem Ende des Kommunismus werden auch mächtige Politiker und Angehörige der Justiz angeklagt und verurteilt. Desmons-Macrea, die nach ihrem Politikstudium nicht Teil des "korrupten Systems" sein wollte, ist der Meinung: Die DNA "hat ihren Job gut gemacht, und sie tut es immer noch". Diese Erfahrung hat in Rumänien ein Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen: Die Stimme des Volkes zählt. Desmons-Macrea stellt dazu fest: "Die Politiker sind dem Volk Rechenschaft schuldig, nicht mehr nur sich selbst."

Die gestiegene Bedeutung der Zivilgesellschaft sieht auch Christoph Bergner, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Deutsch-Rumänischen Forums. Als Beispiel nennt er die politischen Veränderungen nach der Brandkatastrophe in einer Bukarester Diskothek am 30. Oktober vergangen Jahres. Fehlende Notfallpläne und Fluchtwege führten zum Tod von 63 Menschen. Im Anschluss an die Tragödie gab es große landesweite Proteste, allein in Bukarest gingen 25.000 Menschen auf die Straße. Die Demonstranten machten vor allem die Korruption für das Unglück verantwortlich. Und ihr Ruf wurde gehört: Ministerpräsident Viktor Ponta und sein Kabinett traten zurück. Bei der anschließenden Neubesetzung des Kabinetts räumte Präsident Klaus Johannis der Öffentlichkeit viel Mitsprache ein. Bergner sieht darin ein Zeichen für das gewachsene Gewicht der rumänischen Zivilgesellschaft.

Dr. Christoph Bergner Foto: Bundespresseamt
MdB Dr. Christoph BergnerBild: Bundespresseamt

Trendwende in der Abwanderung

Doch nicht nur in der Korruptionsbekämpfung sind die Fortschritte spürbar, Rumäniens Wirtschaftswachstum liegt über dem EU-Durchschnitt. Das Land im Wirtschaftsdreieck zwischen EU, GUS und Nahem Osten ist gut durch die weltweite Wirtschaftskrise gekommen. Emil Hurezeanu, rumänischer Botschafter in Berlin, sieht dies als Teil eines "Abholprozesses". Rumänien wurde durch Wirtschaftsreformen in den vergangenen zehn Jahren an die anderen EU-Staaten herangeführt. Die Mitgliedschaft in EU und NATO waren dafür laut Hurezeanu die treibende Kaft. "Rumänien hat die EU-Mitgliedschaft erkennbar gut getan", ist sich auch Christoph Bergner sicher. Es gebe überhaupt keine Zweifel, dass seit 2007 "Kräfte freigesetzt" wurden. Diese Kräfte lassen sich vor allem an der Trendwende in der Abwanderung ablesen.

Infografik Wirtschaftsdaten Rumänien im Vergleich zu EU und Deutschland
Wirtschaftsdaten Rumänien im Vergleich zu EU und Deutschland

Die Abwanderung von qualifizierten Fachkräften war Teil eines Exodus, der nach dem Sturz des Kommunismus eingesetzt hat. Im Jahr 2008 kehrten noch mehr als 300.000 Rumänen ihrer Heimat den Rücken. Noch heute nehmen laut Bundesärztekammer rumänische Kollegen den Spitzenplatz der ausländischen Ärzte in Deutschland ein. Doch der Trend ist gestoppt: Die Abwanderungsquote sank von 4,8 Prozent im Jahr 2004 auf nur noch 0,8 Prozent im Jahr 2014. Gleichzeitig stieg der Anteil der Akademiker im Land rasant an. Bergner sieht die akademische Ausbildung aus deutscher Sicht als "gut platziert" und "gut entwickelt". Wirtschaftliche und politische Perspektiven, gute Ausbildungssituation: In Rumänien herrschen auf den ersten Blick gute Bedingungen für Firmenneugründungen, doch wie sieht es tatsächlich aus?

Starkes Wachstum im IT-Bereich

Infografik Entwicklung Rumäniens in ausgewählten Bereichen
Entwicklung Rumäniens in ausgewählten Bereichen

Maria Desmons-Macrea hält Rumänien momentan für einen "tollen Ort für Firmengründer". Vor allem im IT-Bereich sieht sie eine große Entwicklung. Grund hierfür ist die Befreiung des IT-Sektors von der Einkommenssteuer. Seit 2001 wird so der Ausbau gefördert. Auch der Leiter des Deutsch-Rumänischen Forums sieht die Informationstechnologien neben der Auto-Zulieferindustrie als potentielles Wachstumsfeld. Der aus seiner Sicht wichtigste Schritt ist die Veränderung in der Zielgruppe von Gründerinitiativen. Es gebe Fortschritte in der Ausrichtung auf den europäischen und internationalen Markt. "Innerhalb der mittel-ost-europäischen Staaten spielt Rumänien eine beachtliche Rolle", so Bergner.

Unterstützt wird diese Entwicklung durch die EU, vor allem durch Deutschland. Laut Botschafter Emil Hurezeanu haben "die deutschen Investoren (...) seit etlichen Jahren den rumänischen Markt für sich entdeckt". Die Zahlen geben ihm Recht, die mittel-ost-europäischen Länder sind die Region mit den größten deutschen Auslandsinvestitionen. Die rumänische Regierung hat das Ziel, dieses Investitionsklima auch längerfristig zu verbessern. Doch ein investitionsfreundliches Umfeld ist nur der erste Schritt bis zum ersten IT-Großkonzern mit Sitz in Bukarest. Maria Desmons-Macrea ist sich jedoch sicher, dass Rumänien schon längst auf dem Weg ist. Ihr Job sei gesichert: "Ausbildungsangebote für Gründer sind zur Zeit extrem begehrt." Sie selbst hat die Entscheidung, in ihr Heimatland zurückzukommen, nie bereut.

Rumänischer Botschafter in Berlin: Emil Hurezeanu
Rumänischer Botschafter in Berlin: Emil HurezeanuBild: Emil Hurezeanu

Einig sind sich die rumänischen Interviewpartner auch in ihrer gelebten Willkommenskultur. "Jeder für neue Erfahrungen offene Mensch ist eingeladen, nach Rumänien zu kommen und sich überzeugen zu lassen", sagt Desmons-Macrea. Der rumänische Botschafter Emil Hurezeanu formuliert seine Einladung fast schon poetisch: "Es ist wie ein Glas guten Weines, ob halb leer oder halb voll (...): Von der Ferne sieht man zuerst die Leere (...): Von der Nähe aber, oder sogar besser, bei einer Verkostung sieht das Bild völlig anders aus." Eine Einladung in ein Land, dessen wirtschaftliches Potential darauf wartet, entdeckt zu werden.