1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ruhende Schwangerschaft

Jan Friedmann25. März 2002

Ein Scharia-Gericht in Nigeria verurteilte Safiyatu Hussaini wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung. Im Berufungsverfahren entging die Frau dem Todesurteil - dank einer besonderen Verteidigung.

https://p.dw.com/p/21pr
Safiyatu Hussaini vor dem Scharia-Gericht in Sokoto, NigeriaBild: AP

Nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht sollen sie sein, am besten so groß wie ein Handteller. Die Scharia, das islamische Recht, ist genau, was die Auswahl der Steine für eine Hinrichtung angeht. Dann wird der Verurteile bis zur Hüfte im Boden eingegraben, Kopf und Oberkörper bleiben frei. Die umherstehende Meute wirft so lange auf ihn ein, bis er tot ist.

Safiyatu Hussaini entgeht diesem grausamen Schicksal, obwohl ein islamisches Gericht sie im vergangenen Oktober zum Tod durch Steinigung verurteilte. Die fünffache Mutter hatte Jahre nach der Scheidung von ihrem Mann eine Tochter zur Welt gebracht. Die Scharia verbietet Sex außerhalb der Ehe. Am 25. März hat das Gericht in der nordnigerianischen Stadt Sokoto der Berufung der 35-Jährigen stattgegeben.

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit

Das Scharia-Gericht verhandelte unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Korrespondenten der großen Tageszeitungen standen vor der Lehmhütte der Frau Schlange; es trafen allerlei Hilfslieferungen in dem kleinen Dorf Tungan Tudu an der Grenze zu Niger ein. In Paris und Rom gab es Demonstrationen für Safiya Hussaini. Der Europarat forderte eine Begnadigung. Menschenrechtsgruppen stellten Hussaini Rechtsanwälte zur Seite, die sie bei ihrer Berufung unterstützen.

Mit juristischem Beistand änderte Hussaini auch ihre Veteidigungsstrategie und plädierte auf eine "ruhende Schwangerschaft". Behauptete sie vor einem Jahr noch, von einem Nachbarn vergewaltigt worden zu sein, gab sie nun ihren Exmann Yusuf Ibrahim als Kindsvater an: Die Tochter Adama sei während der vor einigen Jahren geschiedenen Ehe gezeugt worden. Mit dieser biologisch abwegigen Interpretation erreichten Hussainis Anwälte einen Freispruch. Schließlich ist nach islamischem Recht eine Spanne von bis zu sieben Jahren zwischen Empfängnis und Geburt denkbar.

Spannungen zwischen Christen und Moslems

Hintergrund des Ränkespiels ist ein seit einiger Zeit schwelender Konflikt zwischen Moslems und Christen in Nigeria, dem mit 120 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Staat in Afrika. Im Jahr 2000 starben bei Unruhen 2.000 Menschen, als 12 Bundesstaaten die Scharia einführten. Das erste Todesurteil wurde im Januar 2002 in der zentralnigerianischen Stadt Kaduna vollstreckt, als der geständige Mörder Sani Yakubu Rodi gehängt wurde.

Die nigerianische Regierung protestierte wiederholt gegen die Anwendung der Scharia in einigen Bundesstaaten. Justizminister Kanu Agabi wies darauf hin, dass kein Muslim zu einer Strafe verurteilt werden dürfe, "die gegen andere Nigerianer wegen desselben Vergehens nicht verhängt wird." Die Einführung der Scharia bedrohe "die Stabilität, die Einheit und die Integrität des Landes."

Rückkehr ins Mittelalter

Seit Ende der Militärherrschaft 1999 aber steigt der Einfluss von islamischen Fundamentalisten im Norden des Landes. Sie fordern eine weitere Verschärfung des islamischen Rechts. Die Scharia gilt als Vehikel radikaler muslimischer Eliten, die nach der Ablösung der Militärdiktatur durch die Wahl des Präsidenten Olusegun Obasanja im Jahr 1999 an Macht verloren. Sie gründen private Sicherheitsdienste, die die Einhaltung des muslimischen Rechts überwachen sollen. Radikale Parolen fallen im verarmten Norden Nigerias auf fruchtbare Parolen.

Safiyatu Hussaini schmiedet nach ihrem Freispruch Hochzeitpläne. Sie will ihren Ex-Mann ein zweites Mal heiraten. "Ich hoffe, wir können umziehen und noch einmal von vorne anfangen."