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Ruhe vor dem Sturm

9. Juni 2009

Sinnsuche im krisenfreien Raum? Die 53. Biennale Venedig unter dem Motto "Fare mundi – Making Worlds – Weltenmachen" präsentiert sich sanft plätschernd und harmoniesüchtig.

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Die Giardini - Schauplatz der Biennale Venedig (Bild: DW-TV)

Im amerikanischen Pavillon herrscht sanft plätschernde Ruhe: Aus abgeschnittenen Acryl-Köpfen des US-Altmeisters Bruce Nauman rieselt Wasser. Und im Entrée hängt eine Neon-Schnecke aus den Worten "Der wahre Künstler hilft der Welt, indem er mystische Wahrheiten enthüllt." Das ironische Bekenntnis trifft genau das Bedürfnis, mit dem das Publikum den Künstlern auf dieser Biennale wieder gegenübertritt: Welterklärer und Sinnstifter zu sein. In diesem Sinne hatten die USA mit Bruce Nauman wieder einen Spitzen-Künstler ins Rennen geschickt, und die Rechung ist aufgegangen: Ein Goldener Löwe ging an den amerikanischen Pavillon.

Zersplitterte Spiegelwand

Verwirrende Op-Art-Effekte in Tobias Rehbergers Biennale-Café (Foto: dpa)
Tobias Rehbergers Biennale-CaféBild: dpa

Das passt zur sanft polierten Benutzer-Oberfläche dieser Biennale, die Kurator Daniel Birnbaum unter das Motto stellte: "Fare Mondi - Making Worlds - Weltenmachen". Der in Frankfurt lebende Schwede hatte auch den deutschen Künstler Tobias Rehberger beauftragt, für den zentralen Pavillon ein neues Café zu entwerfen. Rehberger hat diese Aufgabe furios erfüllt: Der bisher so unwirtliche Raum ist zu einem kommunikativen Ort geworden und zur begehbaren Skulptur mit verwirrenden Op-Art-Effekten, die in einer zersplitterten Spiegelwand kulminieren. Dafür hat Tobias Rehberger den Goldenen Löwen erhalten.

Kunst ohne Krise?

Beide Goldenen Löwen sind symptomatisch für die zurückgenommene, friedliche Atmosphäre dieser Schau, für eine Kunst, in der die Krise anscheinend noch nicht angekommen ist. Die Ausstattung des deutschen Pavillons mit Küchenzeilen aus Kiefernholz durch den englischen Künstler Liam Gillick markiert leider den Tiefpunkt an gedankenloser Seichtheit.

Irina Korinas pflanzenartig wuchernde Skulptur 'Fountain' im russischen Pavillon. Im Hintergrund eine Besucherin (Foto: AP)
Irina Korinas Skulptur 'Fountain' im russischen PavillonBild: AP

Scharfsichtig hat die Jury erkannt, dass der skandinavische Pavillon herausragt, ein so einladender wie beunruhigender Raum mit teilweise orgiastischen Bildern an den Wänden. Das Motto der Kuratoren Michael Elmgreen und Ingmar Dragset: "Death of a collector". Der tote Sammler schwimmt kopfüber im Zierteich - eines der wenigen Memento Mori dieser Biennale.

Sieg über die Zukunft?

Grandios gescheitert sind ausgerechnet die Kuratorinnen des italienischen Pavillons: Sie wollten an die große Tradition des italienischen Futurismus anknüpfen und zeigen peinlich mit Bodybuilding-Gestus auftrumpfende Werke voll falschem Pathos. Es scheint, als trüge gerade Berlusconis Italien, das Ursprungsland der abendländischen Malerei, überschwer an seinem großen Erbe.

Zierteich mit Gummipuppe, die einen toten Kunstsammler darstellen soll: Eine Installation der Dänen Michael Elmgreen und Ingmar Dragset (Foto: AP)
Tod eines Sammlers - die Installation von Michael Elmgreen und Ingar DragsetBild: AP

Ganz anders die Russen. Respektlos spiegeln sie Aufbruchsstimmung und Elend des postsozialistischen Lebens, diesmal unter dem absurden Motto: "Sieg über die Zukunft". Der Moskauer Zeichner Pavel Peperstein hat mit spitzer Feder skurrile Haupt- und Staatsaktionen der kommenden Jahrtausende skizziert: etwa ein globales Denkmal der Biosphäre und ein schwarzes Quadrat des Jahres 3608. Oder ein markerschütterndes Ereignis aus China im 4. Jahrtausend nach der Zeitenwende: Die rebellierenden Berge beginnen, die Städte zu verschlucken.

Man muss sich beeilen – alles verschwindet

Venedig wird kaum zu diesen Städten gehören, denn es wird wohl vorher verschlungen werden – von den Wassern der Lagune. Wer weiß, ob die Serenissima das kommende Jahrtausend überleben wird? Über der Pressevorbesichtigung ging heuer ein schweres Gewitter nieder, und am Eröffnungstag stieg der Wasserspiegel in den dampfenden Kanälen wieder einmal bedrohlich. Und auch die Mostra, die Mutter der Biennalen, ist in die Jahre gekommen, auch wenn sie sich wieder einmal von ihrer lebendigsten Seite zeigt. Man sollte also nicht zögern, die diesjährige Biennale zu besichtigen, getreu dem Motto Cézannes: "Man muss sich beeilen – alles verschwindet."

Autor: Rainer B. Schossig

Redaktion: Aya Bach