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Rudolph Wurlitzer - Vater der Kinoorgel

Marita Berg13. Januar 2014

Heute ist der Name Wurlitzer ein Synonym für die Jukebox, unverzichtbares Kneipen-Zubehör der 1950er Jahre. Eine Revolution aber waren die Kinoorgeln, mit denen der Stummfilm zum klanggewaltigen Erlebnis wurde.

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Rudolph Wurlitzer Instrumentenbauer
Bild: Mary Evans Picture Library)

Eine Münze in den Schlitz werfen, einen Song auswählen, sehen wie sich die Schallplatte zum Tonarm bewegt, um dann den gewünschten Titel zu hören - für Jugendliche in den 1950er Jahren waren Jukeboxen die Hauptattraktion in den Milchbars und Eiscafés.

Amerikanische GIs hatten die Musikautomaten der Rudolph Wurlitzer Company nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gebracht und seitdem erlebten die "Wurlitzers" einen Boom. Jugendliche, die weder Radio noch Plattenspieler besaßen, konnten so ihre Lieblingsmusik hören. In den so genannten "Box-Charts" standen Bill Haley und Elvis Presley ganz oben. Allein zwischen 1955 und 1960 verzehnfachte sich die Zahl der Jukeboxen in Westdeutschland auf etwa 50.000.

Vom Tellerwäscher zum Millionär

Rudolph Wurlitzer, am 31. Januar 1831 als Sohn eines Instrumentenbauers im sächsischen Schöneck geboren, war quasi aus dem Nichts zum Erfolgs-Unternehmer der Musikindustrie aufgestiegen. Gegen den Willen seines Vaters wanderte er 1853 nach Amerika aus. Der 22-Jährige arbeitete zunächst in einem Lebensmittelladen in New Jersey. Nicht weit von seinem Arbeitsplatz befand sich eine Musikalienhandlung. Rudolph Wurlitzer wunderte sich über die hohen Preise für die dort ausgestellten Musikinstrumente und witterte eine Chance: 1856 schickte Wurlitzer 700 Dollar an die Familie in Schöneck mit der Bitte, ihm Instrumente nach Amerika zu liefern. Das Geschäft mit den importierten Instrumenten aus Deutschland boomte. Noch im gleichen Jahr gründete der geschäftstüchtige Sachse die Wurlitzer Company und eröffnete Verkaufsgeschäfte in allen großen amerikanischen Städten.

Das Achte Weltwunder

1880 begann Wurlitzer mit der Herstellung von Klavieren. Mit sicherem Geschäftssinn verfolgte er aber auch die neuesten Trends im Instrumentenbau, vor allem die steigende Popularität automatischer Musikinstrumente. Er experimentierte mit der neu entwickelten Lochstreifen-Codierung, mit der auch eine "Programmierung" von Instrumenten möglich wurde.

1899 baute er das erste Münzklavier der Welt, das Tonophone, ein Selbstspielklavier mit gelochten Papierrollen, das man - wie die späteren Jukeboxen - durch Geldeinwurf in Betrieb setzen konnte. Im Firmenkatalog schilderte er die Vorzüge: "Die Möglichkeiten dieses Instrumentes sind einfach erstaunlich. Der Ton ist reich und charmant, der Ausdruck natürlich und wahrhaftig. Ein jedes Klavier ist mit zehn Musikstücken ausgestattet, die vom zukünftigen Käufer ausgewählt werden können." Wurlitzers Münzklavier war in den USA die Sensation: Auf der Panamerikanischen Ausstellung 1901 in Buffalo wurde der Vorläufer der Jukebox als "achtes Weltwunder" vorgestellt und mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.

S/w-Foto des Münzpianos der Firma Wurlitzer (Foto: Library of Congress)
Das Tonophone - Urahn der JukeboxBild: public domain
Blick auf die die Scheibe mit dem Plattenarchiv und den Greifarm der Original Wurlitzer Musikbox (Foto: picture-alliance/dpa)
Die Original Wurlitzer Jukebox - Alternative zum teuren privaten PlattenspielerBild: picture-alliance/dpa

Ein-Mann-Orchester

Wurlitzer Kinoorgel Mighty Wurlitzer 1929 im Fox Theatre in St. Louis (Foto: picture alliance/AP Photo)
Große Klänge für großes Stummfilm-Kino - die Mighty Wurlitzer von 1929 im Fox Theatre in St. LouisBild: picture alliance/AP Photo

In Buffalo hatte Rudolph Wurlitzer auch die Präsentation der ersten Stummfilme erlebt, die schon damals mit Musik untermalt wurden. Gespielt wurde meistens am Klavier, für feierliche Premieren aber wurden häufig ganze Orchester zur Begleitung engagiert. Eine neue Idee war geboren: Rudolph Wurlitzer wollte ein eigens für die neuen Kinohäuser geschaffenes Instrument auf den Markt bringen, eine Orgel, auf der Filmmusik gespielt wird, die aber auch eine jeweils passende Geräuschkulisse liefert.

Um seine Vision vom "Ein-Mann Orchester" zu verwirklichen, nahm Wurlitzer Kontakt mit dem britischen Orgelbauer Robert Hope-Jones auf. Er hatte ein neues Verfahren entwickelt, durch das er dieselbe Orgelpfeife mehrfach benutzen konnte. Mit wenigen Pfeifenreihen konnte er so hunderte von Klangfarben und Effekte erzeugen: "Bei uns können sie neue, andere Orgeln bauen, eben genau das tun, was sie ja eigentlich wollen", schrieb Wurlitzer an den Orgelbauer. Hope-Jones stimmte zu und schon 1911 entstanden die ersten großen Kinoorgeln, die als Mighty Wurlitzer weltberühmt werden sollten.

Mighty Wurlitzer

Mighty Wurlitzer Musikinstrumenten Museum Berlin (Foto: "gemeinfrei")
Sicherlich nicht ohne Anleitung zu spielenBild: gemeinfrei

Den weltweiten Erfolg seiner Kinoorgeln in den 1920er Jahren konnte Rudolph Wurlitzer nicht mehr erleben. Er starb am 14. Januar 1914 in Cincinnati. Sein Sohn Farny übernahm die Geschäfte und er sollte ab den 1930er Jahren auch die ersten Jukeboxen auf den Markt bringen. Die einschlagende Wirkung, der neuen Mighty Wurlitzer vor inzwischen über 100 Jahren, hat er aber nie vergessen:

"Die erste große Orgel war die, die wir an das Liberty Theatre in Seattle verkauften. Das Theater war speziell als Kino erbaut worden und musikalisch gesehen, hing alles von unserer Orgel ab. Die Neueröffnung war ein so großer Erfolg, dass die Polizei in Seattle drei Wochen lang die Menschenmassen kontrollieren musste, die drei Blocks weit anstanden, um ins Liberty zu kommen. Und daran hatte die Orgel den Hauptverdienst."

Europas größte erhaltene und noch spielbare "Mighty Wurlitzer", mit über 1000 Pfeifen, 200 Registern und einem Spieltisch aus goldverziertem Schleiflack, steht heute im Musikinstrumenten-Museum in Berlin. Wahrlich "mächtig" sind nicht nur die Dimensionen des Synthesizer-Opas, sondern auch die Klangpalette mit unzähligen Spezialeffekten wie Vogelgezwitscher, Donnergrollen, Schiffssirenen, Feueralarm, Autohupen oder das Zischen einer Dampfeisenbahn.