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Roy‘s Rock

Udo Bauer25. August 2003

Ein reaktionärer Verfassungsrichter, die christliche Rechte und ein Mob christlicher Fundamentalisten proben den Aufstand im Bible Belt. Der Stein des Anstoßes ist aus Granit und zweieinhalb Tonnen schwer.

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Wie jeder US-Bundesstaat, so hat auch Alabama ein Verfassungsgericht. Es ist ein schöner, klassizistischer Bau im Zentrum der Hauptstadt Montgomery. Seit Tagen wird das Gerichtsgebäude belagert von demonstrativ betenden Christenmenschen. Manche schwenken die Bibel, manche tragen mächtige Holzkreuze mit der Aufschrift "Jesus ist für Dich gestorben". Einige sind von weit her angereist, um hier zu demonstrieren und um zu beten, dass ein Wunder geschieht und ein Bundesgericht doch noch zu Gott findet.

Dieses Gericht hatte nämlich angeordnet, dass ein steinernes Monument aus der Rotunde des Verfassungsgerichts entfernt werden muss. Dabei handelt es sich um einen Granitquader mit den eingemeisselten Zehn Geboten. Diese alt-testamentarische Gesetzesschrift habe in einem weltlichen Gerichtsgebäude nichts verloren, so hatte das Gericht argumentiert unter Berufung auf die Trennung von Religion und Staat. Diesen Verfassungsgrundsatz gibt es auch in der Bundesrepublik und er hatte – wir erinnern uns – dazu geführt, dass in bayerischen Schulzimmern die Kruzifixe entfernt werden mussten. Was die Bayern aber unter Protest zur Kenntnis genommen haben, das führt in Alabama nun zum Aufstand der christlichen Massen.

Martin Luther King der Weißen

"Der Stein kommt hier nicht an uns vorbei", sagt der Reverend Patrick Mahoney, seines Zeichens Direktor der "Christian Defense Coalition", eines Ablegers der ultraorthodoxen religiösen Rechten. Mahoney ist Wortführer der Demonstranten auf den Stufen des Gerichts, und er ist fest zum zivilen Ungehorsam entschlossen. Diese Form des Widerstandes gegen die Staatsmacht hat er sich von den schwarzen Bürgerrechtlern abgeschaut, die in den 1960-er Jahren nur mit Hilfe von Schlagstöcken und bissigen Polizeihunden und unter dem Gegröhle eines weißen Mobs an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert werden konnten. Was den Schwarzen damals Martin Luther King Jr. war, das ist den Weißen heute Roy Moore.

Moore ist der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes von Alabama – bzw. er war es bis vor kurzem. Jetzt ist er vom Dienst suspendiert, weil er den Beschluss des Bundesgerichts missachtet hat, das christliche Monument zu entfernen.

Wie ein Heiligtum

Der Stein mit den Zehn Geboten ist ihm ein Herzensanliegen, er ist ihm so heilig, als ob es das Original wäre, das Moses vom Berg Sinai herabgeholt hat. Es ist sein Stein - Roy‘s Rock heisst er im Volksmund – und das im wahren Sinne des Wortes. Denn Roy Moore war es, der vor zwei Jahren das Monument in "seinem" Gericht hat installieren lassen. Eine klassische Nacht- und Nebel-Aktion war das, denn Moore hatte gewartet, bis seine acht Richterkollegen in den Feierabend verschwunden waren. Am nächsten Morgen waren sie vor vollendete Tatsachen gestellt und hatten kurz darauf beim Bundesgericht Klage eingereicht. Den jetzigen Richterspruch aber will Roy Moore nicht akzeptieren. "Das Urteil hat mit dem Recht nichts zu tun", sagt er, "ein Gericht kann Dir nicht vorschreiben, was Du denken darfst und an wen Du glauben darfst." Ausserdem seien die Zehn Gebote Gottes doch ohne Zweifel das geistige Fundament des amerikanischen Rechtssystems.

Neue Karriere

Der Mann hat ganz offensichtlich seinen Job verfehlt. Er hätte lieber Prediger werden sollen. Als Prediger darf man sagen, dass das Gesetz Gottes über dem Gesetz des Menschen steht, als oberster Richter nicht. Aber vielleicht wird er ja noch Gouverneur des Staates Alabama oder Kongressabgeordneter in Washington, wer weiss. Oder vielleicht wird er von Präsident Bush ins US-Verfassungsgericht berufen. Für manche Karriere im Bible Belt hat er die besten Grund-Voraussetzungen: Weiße Hautfarbe, Gottesfurcht, Geld, juristisches Staatsexamen, viele Anhänger, keine Vorstrafen. Damit Letzteres so bleibt, hat Moore wissen lassen, dass er sich nicht der Widerstandsbewegung vor dem Gericht anschließen will. Roy Moore wird noch von sich hören lassen, soviel ist sicher.