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"Roter Sonntag" in Bangkok

15. September 2010

Thailands Rothemden planen einen "Gedenkmarathon": Der 19. September ist der vierte Jahrestag des Putsches – und zeitgleich liegt die Niederschlagung der Massenproteste durch die Armee dann genau vier Monate zurück.

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Anhänger des 'Roten Sonntags' brechen auf zur Fahrrad-Tour durch Bangkok (Foto: Holger Grafen / DW)
Anhänger des "Roten Sonntags" brechen auf zur Fahrrad-Tour durch BangkokBild: DW/Holger Grafen

Treffpunkt für die Anhänger des "roten Sonntags" ist erneut die Ratchaprasong - jene Kreuzung, die die Rothemden bei ihren Demonstrationen im Frühjahr wochenlang blockiert hatten. Mitte Mai schlug das Militär die Proteste nieder. Die "Red Sunday Group" plant dieses Mal eine Radtour durch Bangkok - mit roten Fahnen und Wimpeln an den Gepäckträgern.

Die, die jetzt wieder auf die Straßen gehen, demonstrieren nicht mehr unter dem offiziellen Banner der "Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur" (UDD), deren Anführer entweder in Haft sitzen oder untergetaucht sind. Der "rote Sonntag", eine Initiative des Anti-Putsch-Aktivisten Sombat Boonngamanong, wurde kurze Zeit nach dem gewaltsamen Ende der UDD-Proteste ins Leben gerufen. Mit der Aktion soll das Gedenken an die 91 Toten und fast 2000 Verletzten des Frühjahrs wach gehalten werden.

Aktion gegen das Vergessen: zwei Teilnehmer der Gedenk-Initiative (Foto: Holger Grafen / DW)
Aktion gegen das Vergessen: zwei Teilnehmer der Gedenk-InitiativeBild: DW/Holger Grafen

Ventil für den Schmerz

Und die Treffen werden immer populärer: Die Teilnehmer binden rote Bänder um Verkehrsschilder und Bäume oder initiieren ein Straßentheater – Szenen, in denen Aktivisten die Erschießung von Menschen darstellen. Dass in Bangkok weiter der Ausnahmezustand herrscht, ficht die Anhänger des "roten Sonntags" nicht an. Für sie sind diese Veranstaltungen ein Miteinander von Gleichgesinnten, ein Ventil für ihren Schmerz und Frust. Gleichzeitig aber wird den roten Anhängern vorgeworfen, dass auch seitens der UDD Gewalt ausgegangen ist.

"Einige Leute sagen, die Betroffenen hätten das bekommen, was sie verdienten", moniert Teilnehmerin Aun Aun. Dass Menschen so denken, kann sie einfach nicht nachvollziehen: "Ich versuche, allen klar zu machen, dass die Regierung keineswegs das Recht hat, Menschen zu töten oder zu verletzen. Viele versuchen dann wenigstens, meinen Standpunkt zu verstehen. Andere aber weigern sich, meine Argumente zu akzeptieren."

Eskalation auf Raten

Gewalteskalation in Bangkok Mitte Mai (Foto: AP)
Gewalteskalation in Bangkok Mitte MaiBild: AP

Die rote Bewegung mag zersplitterter sein denn je – aber sie ist nicht am Ende. Sean Boonpracong, ein früherer UDD-Sprecher, erinnert sich an die Zeit noch vor den Protesten. "Ein Treffen im November ist mir in Erinnerung geblieben, weil damals einer der Anführer vorgeschlagen hatte, dass wir uns für den Fall des Falles bewaffnen sollten", sagt er. Damit aber habe sich der Betreffende nicht durchsetzen können: "Veera Musikaphong, ein anderer führender Kopf, hat erklärt, es wäre heuchlerisch, wenn die UDD sich dazu entschließen würde", so Sean Boonpracong weiter. Man könne sich nicht als friedliche Protestbewegung ausgeben, wenn man gleichzeitig genau das Gegenteil plane.

Anhänger des getöteten General Khattiya Sawasdiphol bei dessen Beerdigung (Foto: AP)
Anhänger des getöteten General Khattiya Sawasdiphol bei dessen BeerdigungBild: AP

Die ersten Wochen waren dann auch tatsächlich ohne Gewalt verlaufen. Aber nach der ersten versuchten Niederschlagung der Demonstrationen durch die Armee am 10. April wurde immer deutlicher, dass der Konflikt nicht friedlich enden würde. In jener Zeit wurde - zumindest für einen Teil der roten Basis - ein Mann immer mehr zum Helden: Khattiya Sawasdipol, ein vom Dienst suspendierter Generalmajor. Er war berühmt-berüchtigt für seine radikalen Ansichten sowie seine glühende Verehrung für Ex-Premier Thaksin Shinawatra. Der Generalmajor hatte seine Vorgesetzten etliche Male provoziert – letztlich hatte er sich öffentlich auf die Seite der Rothemden gestellt. Am Abend des 13. Mai wurde Khattiya angeschossen und lebensgefährlich verletzt – alles deutet auf einen Scharfschützen der Armee hin. Der "Rote Kommandeur" starb vier Tage später.

Das Erbe des Vaters

Jetzt betritt dessen Tochter die politische Bühne. Die 29-jährige Anwältin Khattiyaa könnte in der roten Bewegung künftig eine wichtige Rolle spielen. Pikant dabei ist, dass die junge Frau zuvor bei den Gelbhemden, der "Volksallianz für Demokratie", mitgemacht hatte – den Erzrivalen der Roten. Jetzt bekennt sie sich offen zu letzteren. Am Abend dieses "roten Sonntags" zünden hunderte Menschen nahe einer U-Bahnstation im Geschäftsbezirk Silom Kerzen an – dort war der "Rote Kommandeur" erschossen worden. "Viele Menschen sind hier, um ihren Respekt für meinen Vater zu bezeugen. Und als seine Tochter bin ich jetzt anstelle meines Vaters hierher gekommen", sagt Khattiyaa Sawasdipol.

Wie die Zukunft der Roten aussehen wird, ist schwer abzuschätzen. Erst einmal bereiten sie sich auf die Gedenkveranstaltungen am 19. September vor – unter den Argusaugen von Militär und Regierung. Ein paar Aktivisten haben sich schon jetzt als Teufel und Geister verkleidet: Auf ihren Transparenten ist zu lesen "Verfluchter 19.!"

Khattiyaa Sawasdipol, die Tochter des 'Roten Kommandeurs' (Foto: Holger Grafen / DW)
Khattiyaa Sawasdipol, die Tochter des "Roten Kommandeurs"Bild: DW/Holger Grafen

Autorin: Nicola Glass
Redaktion: Esther Broders