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Roma im EU-Mitgliedsland Tschechien immer noch ausgegrenzt

18. Januar 2007

Seit fast drei Jahren ist Tschechien Mitglied der EU. Das Problem der rund 250.000 Roma im Land wird immer noch ignoriert. Über 90 Prozent sind arbeitslos. Die meisten Roma leben in ghettoähnlichen Vierteln.

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Marie Gailovà, Präsidentin der Gesellschaft RomodromBild: DW

Zwischen verrosteten Schaukeln, verdorrten Sträuchern und überquellenden Mülleimern spielen Roma-Jungen Fußball. Der trostlose Park ist umgeben von herunter gekommenen Gebäuden und leer stehenden Geschäften, mitten im Prager Viertel Karlin. Die Mehrheit der Bewohner hier sind Roma, und obwohl sie tschechische Staatsbürger sind, werden sie immer noch ausgegrenzt: "Nach Umfragen eines Meinungsforschungsinstituts denkt die Mehrheit der Tschechen immer noch, dass alle Roma faul sind, sich vor der Arbeit drücken und klauen", sagt Jarmila Balážová. Frau Balazova kennt die Vorurteile aus eigener Erfahrung – sie ist selbst Roma. Obwohl sie eine der bekanntesten TV-Moderatorinnen Tschechiens ist, bekommt sie die Diskriminierung auch immer wieder am eigenen Leib zu spüren: "Ich zähle ja schon zu den Roma, die eine bessere Position in Tschechien haben: Ich habe einen Uni-Abschluss, und durch mein gesellschaftliches Engagement und meine journalistische Arbeit habe ich eine gewisse Prominenz. Trotzdem begegnen mir im Alltag häufig Vorurteile und Diskriminierung. Weil ich Roma bin, bin ich zum Beispiel schon häufiger nicht in die Disco gelassen worden."

Leben in ghettoähnlichen Vierteln

Rund 250.000 Roma leben in Tschechien, sie sind die Verlierer der Wende: Im Kommunismus hatten viele im Bergbau gearbeitet - heute bleibt ihnen meist nur noch die Arbeitslosigkeit. Sie leben in Armut und isoliert in ghettoähnlichen Vierteln, wie im Prager Stadtteil Karlin. Über 300 solcher Enklaven gibt es in ganz Tschechien. Das ergab jetzt erstmals eine Studie des Arbeitsministeriums, an der auch Eva Holecková mitgearbeitet hat. Sie erklärt: "Viele Häuser und Wohnungen haben keinen Strom- und Wasseranschluss. Über 90 Prozent der Roma sind arbeitslos. Die meisten haben keine Ausbildung und finden auch deshalb keine Arbeit. Zudem gehen die Kinder auf Sonderschulen. Das sind Viertel, wo man besser nicht hin geht, schlechte Viertel, wie man hier sagt."

"Nazi- Rhetorik" sogar belohnt

In der ostmährischen Stadt Vsetin behandelt Bürgermeister Jiri Cunek die Roma besonders menschenverachtend. In einer Nacht- und Nebelaktion ließ er kürzlich rund 100 Roma auf ein Gelände außerhalb der Stadt zwangsweise umsiedeln und rühmte sich danach - so wörtlich - wie ein "Arzt ein Geschwür entfernt" zu haben. Die Anerkennung seiner Bürger folgte prompt: Mit großer Mehrheit wurde er kurz danach in den tschechischen Senat gewählt. Das erinnere an "Nazi- Rhetorik", empört sich Marie Gailová. Sie ist Vorsitzende der Gesellschaft "Romodrom", die sich mit Projekten und Streetworkern für Roma engagiert. "Natürlich gibt es auch kriminelle Roma, vielleicht sogar überproportional viele. Aber das ist ein soziales Problem, wenn man von durchschnittlich 150 Euro im Monat lebt. Das sieht man auch daran, dass Roma eben kaum wegen Mord oder Gewaltverbrechen belangt werden. Es geht fast immer um Eigentumsdelikte, Taschendiebstahl zum Beispiel.

Seit der Wende wurde das Problem ignoriert. Daran hat auch der EU-Beitritt nichts geändert. Denn Roma-Themen bringen nun mal keine Wählerstimmen, vermutet die Wissenschaftlerin Eva Holecková. "Dieses Problem ist lange Zeit nicht als Problem wahrgenommen worden. Keiner hat sich dafür interessiert oder engagiert, weil man sich damit politisch auch nicht profilieren kann. Keiner hat geahnt, dass es mittlerweile solche Ausmaße angenommen hat. Nun stehen wir vor dem Problem und wissen nicht, was zu tun ist."

Ina Rottscheidt
DW-RADIO, 11.1.2007, Fokus Ost-Südost