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Rivesaltes - das Lager der "Unerwünschten"

16. Oktober 2015

Mehr als sechs Jahrzehnte lang wurden in der französischen Baracken-Einrichtung nahe Perpignan Menschen zwangsinterniert. Jetzt erinnert eine Gedenkstätte an die Schicksale von damals - inmitten der Flüchtlingskrise.

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Die Ruinen des ehemaligen Internierungslagers Rivesaltes (Foto: AFP)
Die Ruinen des ehemaligen Internierungslagers RivesaltesBild: Getty Images/AFP/E. Cabanis

Unerbittlich pfiff der Wind durch das Lager der "Unerwünschten" am Rande der französischen Pyrenäen. In den heruntergekommenen Baracken froren die Menschen, es fehlte an Wasser und Nahrung. Krankheiten wie Krätze und Tuberkulose breiteten sich aus, es wimmelte von Ungeziefer: So schildern Überlebende der Tortour ihre Erinnerungen.

Größte Internierungslager Westeuropas

Gedenkstätten-Leiterin Agnès Sajaloli bezeichnete Rivesaltes als "einmalig in Europa". "Es war das größte Internierungslager Westeuropas, und es umfasste drei Kriege: einen Bürgerkrieg, einen Kolonialkrieg, einen Weltkrieg." Auf dem rund 600 Hektar großen Militärgelände wurden ab 1941 zunächst etwa zehntausend Spanier festgehalten, die vor der Franco-Diktatur geflohen waren. Das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime in Südfrankreich sah sie als Gefahr an.

Bald schon pferchte das Vichy-Regime auch rund 5000 Juden in Rivesaltes zusammen, gemeinsam mit Sinti und Roma. Die Hälfte der Juden aus Rivesaltes wurde später in Konzentrationslager der Nazis deportiert, darunter auch das Vernichtungslager Auschwitz. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in dem Lager Kriegsgefangene und mutmaßliche Kollaborateure eingesperrt.

Die Gedenkstätte des Architekten Rudy Ricciotti - im Inneren informiert eine Ausstellung über Rivesaltes (Foto: AFP)
Die Gedenkstätte des Architekten Rudy Ricciotti - im Inneren informiert eine Ausstellung über RivesaltesBild: Getty Images/AFP/E. Cabanis

Frankreich-treue Araber interniert

Später mussten dann 20.000 Hilfssoldaten der französischen Kolonialtruppen im Algerienkrieg in dem Internierungslager ausharren. Die sogenannten Harkis waren nach dem Ende des Krieges 1962 nach Frankreich geflohen, um den blutigen Racheakten in ihrer Heimat zu entgehen, allerdings waren die arabischen Muslime in Frankreich höchst unwillkommen.

Offiziell wurde das Lager Ende 1964 geschlossen, doch später wurden noch über Jahre hinweg andere "Unerwünschte" - wie die zuständigen Behörden die Internierten nannten - nach Rivesaltes gebracht: Zwischen 1986 und 2007 standen auf dem Gelände des Lagers Flüchtlingsunterkünfte für illegale Einwanderer.

Auch deswegen geht es bei der Gedenkstätte, zu deren Eröffnung Frankreichs Premierminister Manuel Valls an diesem Freitag anreist, nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart und Zukunft, wie Denis Peschanski deutlich macht. Er leitet den wissenschaftlichen Beirat der Erinnerungsstätte. Sajaloli verweist ebenfalls auf Parallelen. Auch heute würden Bevölkerungsgruppen vertrieben und eingesperrt. Die Gedenkstätte solle dazu beitragen, "Fragen an die Welt von heute und morgen zu stellen".

se/kle (afp, faz.net)