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Risse in Tunesiens Regime

14. Januar 2011

Hupkonzerte und Freudenschreie in Tunesien: Das Land feiert, dass der Präsident Ben Ali zum ersten Mal Zugeständnisse macht. Er kündigte ein Ende der Gewalt an. Mindestens 23 Menschen sind bei Unruhen ums Leben gekommen.

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Demonstranten (Bild: AP)
Die Tunesier gehen seit Wochen auf die StraßenBild: AP

Trotz der Ausgangssperre gingen in der Nacht zum Freitag (14.01.2011) viele Menschen auf die Straße. Manche, um weiter zu demonstrieren, aber manche auch, um zu feiern. Viele trauten ihren Ohren nicht und wollten nicht glauben, was sich da gerade im Staatsfernsehen abgespielt hatte. So hatten sie ihren Präsidenten noch nie gesehen: Ben Ali hatte sich wieder an sein Volk gewandt. Zum dritten Mal seit Beginn der schweren und blutigen Unruhen Mitte Dezember. Und diesmal schimpfte er nicht über die Demonstranten, sondern er machte Zugeständnisse. Ab sofort solle Schluss sein mit der Gewalt; Sicherheitskräfte dürften nicht mehr auf Demonstranten schießen, sagte Ben Ali. "Meine Trauer ist sehr groß und sehr tief. Die Waffen müssen schweigen. Wir müssen uns alle gemeinsam eine Chance geben. Der Weg ist noch weit."

Reformversprechen

Demonstranten (Bild: AP)
Werden ihre Forderungen ernstgenommen?Bild: AP

Ben Ali sagte, er habe die politischen Forderungen der Demonstranten verstanden und kündigte überraschend Reformen an. Preissenkungen für Lebensmittel, mehr Jobs für junge Leute, aber auch Reformen, wie es sie im Polizei-und Überwachungsstaat Tunesien noch nie gegeben hat. "Es wird eine vollständige Freiheit der Presse geben, die Blockade und die Zensur des Internets wird beendet", versprach der Präsident.

Ben Ali beugt sich dem Druck der Straße, um Ruhe in sein rumorendes Land zu bringen. Ben Ali habe in 23 Jahren im Präsidentenamt nur seinen repressiven Machtapparat ausgebaut und seinem Land geschadet, sagt der Oppositionspolitiker Najib Chebbi. Die versöhnlichen, fast ängstlichen Töne des Präsidenten aus der Fernsehansprache, kämen nun vielleicht schon zu spät. "Wie können und sollen denn diese Ankündigungen in die Tat umgesetzt werden?", fragt Chebbi. Der Präsident müsse eine ganze Menge Vertrauen zurückgewinnen, das er so lange verspielt habe. "Ich frage mich, ob die Bevölkerung seiner Rede wirklich Glauben schenken wird!"

Rücktrittsforderungen

Ben Ali (Bild: dpa)
Viele wollen, dass er geht: Ben AliBild: picture-alliance/dpa

Niemand weiß, ob die Lunte, die gerade in Tunesien brennt, noch zu löschen ist. Ob Ben Ali selbst und seine Machtclique im Hintergrund wirklich klein bei geben wollen und ob das Militär noch treu zu Ben Ali steht. Unterdessen geht die Gewalt weiter. In Tunis und in Kairouan erschoss die Polizei wieder Demonstranten, im Touristenort Hammamet wurden Geschäfte und eine Polizeistation verwüstet.

Die Demonstranten wollen mehr als nur einen Dialog mit der Regierung. Sie spüren, dass das Regime von Präsident Ben Ali schwere Risse bekommen hat, und sie wollen seinen Rücktritt. Heute, und nicht auf Raten. Nicht erst in drei Jahren. Denn auch das hatte Ben Ali am Donnerstag bekanntgegeben: Er wolle noch bis zur nächsten Wahl im Jahr 2014 im Amt bleiben und dann nicht mehr kandidieren. "Es lebe Tunis, es lebe das Volk, es lebe die Republik", sagte der angeschlagene, blasse Präsident im Fernsehen und es klang wie ein Abschied. Ein Abschied, dem niemand so recht trauen will. Noch nicht.

Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Christine Harjes