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Erlebnisse eines Kulturbotschafters

28. September 2011

Europa möchte in der Welt punkten, auch mit Kultur. Die Deutsche Welle organisiert Diskussionsveranstaltungen dazu. Und Autor Moritz Rinke berichtet über seine Erlebnisse als Kulturbotschafter des Goethe-Instituts.

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Frauen in Ganzkörperschleiern (Foto: dpa)
Bild: picture alliance / dpa

Was ein Schriftsteller erleben kann, der die ganze Welt bereist und dabei zum Kulturbotschafter Deutschlands wird, weiß kaum jemand so gut wie der Berliner Autor Moritz Rinke. Seit Jahren ist er immer wieder unterwegs und hat dabei überraschende, irritierende, witzige Begegnungen festgehalten: Fünf Feuilletons aus zehn Jahren - als Serie bei DW-WORLD.DE

Riad, 2008

In Saudi-Arabien saß ich in einem Auto mit drei unverhüllten Frauen und einer kaputten Klimaanlage. Wir parkten auf dem Gelände des Folklore-Festes eine Stunde von Riad entfernt. Der junge Mann aus der Botschaft war ausgestiegen und verhandelte irgendwo draußen mit Vertretern des saudischen Innenministeriums, ob die Frauen aussteigen und auch auf das Fest dürfen. Im Auto waren es ungefähr schon 35 Grad und ich blieb aus Höflichkeit sitzen. Das Warten mit einer anregenden Konversation zu überbrücken konnte ich nicht, dafür war es zu heiß, obwohl es bestimmt interessant gewesen wäre, mit den Frauen auf der Rückbank zu sprechen. Die eine war die Frau des deutschen Botschafters; die andere die des Chefs im Auswärtigen Amt für kulturelle Beziehungen mit dem Nahen und Mittleren Osten; die dritte war die Frau des jungen Mannes aus der Botschaft.

Porträt Moritz Rinke (Foto: dpa)
Moritz RinkeBild: picture-alliance/ ZB

Während die Frauen versuchten, ruhig zu atmen und sich nicht aufzuregen, blätterte ich in meiner deutschen Zeitung. Ich nahm mir den Artikel über die deutsche Islamkonferenz vor. Wie kann unsere Verfassung beitragen zur Entwicklung eines modernen deutschen Islam, heißt es im Schäuble-Papier, ich kam aber nur bis zur Forderung der konservativen muslimischen Verbände nach einem getrennten deutschen Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen. Ich überlegte sofort die Frauen zu fragen, was sie denn um Gottes Willen vom getrennten Schwimmunterricht halten, aber jetzt vom Schwimmen zu sprechen wäre auch wieder unhöflich gewesen, immerhin waren es bestimmt schon 40 Grad im Auto.

Ganzkörpergewand statt Ersatzreifen

Türen öffnen ging auch nicht. Um das Auto herum standen ungefähr 500 Muslime. Einige hatten die drei Frauenköpfe schon entdeckt, mir schien auch, die 500 Muslime würden sich allmählich dem Auto nähern. Ich überlegte jetzt die Frauen zu fragen, ob sie sich nicht runterbücken könnten, am besten zuerst die Frau des Botschafters irgendwie platt auf die Fußmatte legen! Das Handy klingelte. Der junge Mann von der Botschaft übermittelte, dass sich etwas bewegen könnte bei den Saudis, wenn die Frauen sich anständig verhüllen, dann ginge es. "Gehen Hosen?", rief die Frau vom Mann für kulturelle Beziehungen mit dem Mittleren Osten. "Nein, Schalgewand!"

"Was ist denn ein Schalgewand?" fragte ich. "Im Kofferraum", sagte die Frau des jungen Mannes, "wir haben im Kofferraum ein paar Ganzkörpergewänder für den Notfall!" Ich beobachtete die 500 Muslime, öffnete schnell die Tür und lief zum Kofferraum. Im Christentum haben wir Verbandskästen, Ersatzreifen oder Warndreiecke, hier haben sie Ganzkörpergewänder im Kofferraum. Was mache ich überhaupt hier? Saudi-Arabien! Das ist wie Vatikanstadt, nur noch verhüllter, noch heißer, noch monarchistischer.

Heute morgen war ich auf der Buchmesse von Riad, ich wurde interviewt und hatte richtig Angst vor meinen Antworten. Was soll man in einer absoluten Monarchie auf fundamental-religiöser Grundlage antworten und fragen? Wie soll man überhaupt antworten und fragen in einem Land, das einerseits absolut westlich unterwandert ist mit Shopping Malls, Holiday Inn, Disney, Fußball, andererseits aber öffentliche Hinrichtungen und Auspeitschungen praktiziert?

Spiegelungen in der Fassade des Kingdom Tower in Riad (Foto: AP)
Riad spiegelt sich im Kingdom TowerBild: AP

Vor meiner Reise habe ich Schriftsteller-Rhetorik für absolute Monarchien geübt. Meine eigentliche Frage: "Was ist die Funktion von Schriftstellerei und Journalismus in einem Land, in dem man im Prinzip kein wahres Wort schreiben darf?" – diese Frage überlegte ich abzuändern in: "Wie sehen Sie die Entwicklungen in Russland?" Die Frage: "Öl und Dollars auf der einen Seite, strikte Religion auf der anderen Seite, glauben Sie nicht, dass dies auch zum Terrorismus führt?" Diese Frage könnte lauten: "Lieber Prinz, wie würden Sie die saudi-arabische Identität beschreiben?"

Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass gerade die Tage der Buchmesse in Saudi-Arabien die offensten sind, angeblich konnte man im letzten Jahr sogar das Skandalbuch "Die Girls von Riad" von Rajaa Alsanea kaufen oder "Die Verschwulung der Welt" des Libanesen Raschid Al-Daif. Ich selbst finde aber nur deutsche Ausgaben von: "Mario Basler, meine Freunde, meine Feinde", Goethe: "West-Östlicher Diwan" und "Mein Kampf" von Hitler auf Arabisch. Sogar Frauen dürfen an manchen Tagen auf die Messe. Das stimmt, ich sah heute morgen überall herumlaufende schwarze Säcke mit kleinen Schlitzen, aus denen kultur- oder lebenshungrige Augen blitzen.

Mehr Respekt für glühende Frauen

Mittlerweile standen wir eine Stunde auf dem Parkplatz. Die Frauen hatten sich die schwarzen Gewänder übergestreift und das Haar verhüllt, ich fächerte ihnen mit der Zeitung und dem Artikel über die deutsche Islamkonferenz Luft zu, sofern man das Luft nennen konnte. "Ich mache jetzt die Tür auf!", sagte eine der Frauen. "Nein, wir müssen erst auf einen saudischen Führer warten, der uns über den Parkplatz geleitet", sagte die Frau, die mit ihrem Mann telefoniert hatte. Ich war auch dafür. Ich geleite doch nicht drei notverhüllte Westfrauen über einen saudischen Parkplatz mit 500 Muslimen! "Türen bleiben zu bis der saudische Führer kommt!", ordnete ich an und fächerte entschuldigend mit der deutschen Islamkonferenz weiter.

Ich fächerte lang und während ich fächerte, dachte ich: Wenn ich endlich diesen verdammten Parkplatz hinter mir habe, dann setzte ich mich in den Kühlschrank der deutschen Botschaft in Riad und fordere ganz offiziell eine saudische Christentum-Konferenz. Es geht mir eigentlich gar nicht so um das Christentum, sondern einfach nur um Respekt für deutsche Frauen in einem glühenden Auto bei 45 Grad auf einem Folklore-Fest. Und wenn die islamischen Verbände wirklich den getrennten deutschen Schwimmunterricht durchsetzen sollten, dann würde ich dafür sorgen, dass im nächsten Jahr Heidi Klum ihre Germany´s Next Topmodels auf dem saudischen Parkplatz castet.

Autor: Moritz Rinke
Redaktion: Marlis Schaum / Aya Bach