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Erlebnisse eines Kulturbotschafters

25. September 2011

Europa möchte in der Welt punkten, auch mit Kultur. Die Deutsche Welle organisiert Diskussionsveranstaltungen dazu. Und Autor Moritz Rinke berichtet über seine Jahre als Kulturbotschafter des Goethe-Instituts.

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Ein Sarg des Pharaos Tutanchamun (Foto: AP)
Bild: AP

Was ein Schriftsteller erleben kann, der die ganze Welt bereist und dabei zum Kulturbotschafter Deutschlands wird, weiß kaum jemand so gut wie der Berliner Autor Moritz Rinke. Seit Jahren ist er immer wieder unterwegs und hat dabei überraschende, irritierende, witzige Begegnungen festgehalten: Fünf Feuilletons aus zehn Jahren - als Serie bei DW-WORLD.DE

Kairo, 2007

Letzte Woche stand ich in Kairo zwischen Hunderten von deutschen und ägyptischen Altertumsforschern. Es war die 100-Jahr-Feier des Deutschen Archäologischen Instituts (DAIK) und gefeiert wurde im illuminierten Innenhof vor dem Ägyptischen Museum unweit des Nils. Ein hundert Jahre alter deutscher Chor aus Kairo sang "Wenn ich ein Vöglein wär' / Und auch zwei Flüglein hätt' / Flög ich zu dir..." "Das Lied ist eine Anspielung", flüstert mir ein deutscher Diplomat ins Ohr, das hieße natürlich: "Wenn die Nofretete ein Vöglein wär, flög sie nach Kairo, da sie aber kein Vöglein ist, behalten wir sie in Berlin!"

Porträt des Schriftstellers Moritz Rinke (Foto: dpa)
Moritz RinkeBild: picture-alliance/ ZB

"Ach so", sage ich und schaue mir die Gesichter der ägyptischen Delegation an, insbesondere das Gesicht von Sahi Hawass, dem mächtigen Generalsekretär der ägyptischen Altertumsbehörde, von dem man behauptet, er betrachte alle Mumien, Totenmasken und Tontöpfe so, als habe er sie persönlich ausgegraben. Hawass fordert seit Ewigkeiten die Deutschen auf, die Büste der Nofretete als Leihgabe herauszugeben, die Deutschen haben aber "konservatorische Bedenken" und sagen, die Nofretete sei zu zerbrechlich, sie müsse im Alten Museum in Berlin bleiben. Hawass, der vermutlich in sehr enger Verbindung zur Nofretete steht, hält das für Unfug, die Gattin des Echnaton sei reisefähig, schließlich gäbe es Watte.

Hitler rückte Nofretete nicht raus

Als ich mir Sahi Hawass länger anschaue beim Vöglein-Lied, wird mir klar: Wenn wir die Nofretete wirklich rausgeben, dann ist sie weg, die nimmt Hawass mit nach Hause, das "konservatorische Bedenken" wird uns wie ein Bumerang um die Ohren fliegen. Andererseits: Sogar Hermann Göring hatte versprochen, dass sie nach Ägyptern zurückkehren würde und es war eben Hitler, der sie nicht rausrücken wollte. Dürfen wir sie also wirklich behalten?

Als das Vöglein-Lied zuende ist, wird eine Ausstellung eröffnet mit nubischen Siegeln aus dem Jahre 2375 vor Christus, die beweisen, dass man in Ägypten noch vor Mesopotamien schreiben konnte; deutsche und ägyptische Archäologen streiten sich vor den Vitrinen um irgendwelche Datierungen von Elfenbeinschnitzereien und natürlich liegt auch hier der Nofretete-Konflikt über allem. Ich entweiche heimlich in die Mumien-Ausstellung und stehe ganz allein vor der Mumie von Ramses II, dem bedeutendsten Herrscher des alten Ägypten, der sogar den ersten Friedensvertrag, den es je gegeben hatte, mit den Hethitern schloss.

Balsamierte Genitalien und heilige Hinterköpfe

Unglaublich, was von Ramses alles erhalten ist: die Haare, die Zähne, die Hakennase, sogar der Penis soll mumifiziert worden sein, alles hatte man mit Palmwein abgerieben, in Natron gebadet, mit Kräutern, Myrrhepulver, Bienenwachs und Blüten ausgestopft und in Leinenbinden gehüllt. Mir wird schwindelig, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass ich auf eine über 3000 Jahre alte Nase schaue und auf einen menschlichen Gesichtsausdruck, den ich nicht unbedingt gruseliger finde als den von Sawi Hawass oder den streitenden deutschen und ägyptischen Archäologen vor den nubischen Vitrinen.

24 Stunden später bin ich beim Deutschen Fußballbund in Frankfurt (DFB). Ich sitze im Kuratorium der DFB-Kulturstiftung und wir beraten über ein Fußballmuseum. Später stehe ich nach dem Wales-Spiel im Fahrstuhl des Hotels, die Tür geht auf und Uwe Seeler steigt zu, der Ehrenspielführer. Ich schaue sofort auf seinen Hinterkopf! Dieses berühmte Tor, Mexiko 1970, Viertelfinale gegen England: Flanke Schnellinger von rechts, dann Seeler mit Hinterkopf, 2:2, Verlängerung, Gerd Müller, 3:2, Rache für Wembley.

Uwe Seeler erzielt bei der WM in Mexiko 1970 das entscheidende Kopfballtor (Foto: Sven Simon)
Das heilige KopfballtorBild: picture-alliance / Sven Simon

Ich stand noch nie mit so einem berühmten Ehrenspielführer im Fahrstuhl und denke sofort an Ramses II, die Mumie! Ich schaue so ehrfürchtig auf Seelers Hinterkopf wie auf die Mumie des ägyptischen Herrschers. Ich hätte schon längst aussteigen müssen, fahre aber mit Seeler weiter. Natürlich war ich ja 1970 kaum geboren und natürlich hat sein Tor das Fernsehen mumifiziert, trotzdem sehe ich auf Seelers Hinterkopf und stelle mir vor: mit Palmwein abreiben, in Natron baden, mit Kräutern, Myrrhepulver, Bienenwachs und Blüten ausstopfen und in Leinenbinden hüllen. Und niemals nach Ägypten an Sawi Hawass ausleihen! Als Seeler oben ausstieg, stieg ein anderer herein. So fuhr ich dann bis ganz nach unten mit Karl-Heinz Rummenigge.

Autor: Moritz Rinke
Redaktion: Marlis Schaum / Aya Bach