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Richtungsentscheidung in Rom

Bernd Riegert7. Oktober 2003

Wird die erweiterte EU sich in Richtung Bundesstaat bewegen oder behalten nationale Interessen die Oberhand, so dass es nur zu einem vergrößerten Staatenbund kommen wird? Das wäre ein Rückschritt, meint Bernd Riegert.

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Staatenbund oder Bundesstaat, um diese Richtungsentscheidung ging es auf der Römer Regierungskonferenz am 4. Oktober, und so wie es aussieht, ist der Ausgang offen. Der vorliegende Entwurf zur europäischen Verfassung ist ein guter Entwurf, der eine Grundlage für das Funktionieren der erweiterten Europäischen Union sein könnte. Natürlich ist der Text, den der Verfassungkonvent in 16 Monaten erarbeitet hat, übrigens unter Mitwirkung aller Regierungen, ein Kompromiss. Er ist nicht perfekt, jeder könnte wahrscheinlich noch Wünsche anmelden. Die Europäische Union würde mit der Verfassung einen großen Schritt tun - weg vom Staatenbund, hin zu einem europäischen Bundesstaat. Die Frage ist nur, wieviele Staaten wollen diesen Schritt wirklich tun?

Die fein austarierte Balance bei der Stimmengewichtung, bei der Besetzung der Kommission, bei der Besetzung des Ratspräsidenten und in vielen anderen Fragen nun wieder zu kippen, wäre der falsche Weg. Dann hätte man sich den Konvent sparen können, der von den Regierungen eingesetzt wurde und die zuvor in Nizza nicht in der Lage waren, sich auf ein praktikables Modell zu einigen.

Einfluss der Geldgeber

Die deutsche Bundesregierung wirbt bei Spanien, Polen und Österreich dafür, die Verhandlungen jetzt nicht zu blockieren. Die Hoffnung, dass das Werben zum Erfolg führen wird, ist nicht allzu groß. So versuchen die großen Staaten, den kleinen und mittleren Staaten die Verfassung mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche schmackhaft zu machen. Auf der einen Seite dürfen die Kritiker des Verfassungsentwurfs auf Schauveranstaltungen wie in Rom ihre Bedenken vortragen und sich ernst genommen fühlen. Auf der anderen Seiten lassen die großen Nettozahler, wie Deutschland, die künftigen Empfängerländer aus Mittel- und Osteuropa schon wissen, dass sich unbotmäßiges Verhalten in der Regierungskonferenz nachteilig auf die Finanzverhandlungen auswirken kann. Die Neuverteilung von Beiträgen und Zuschüssen steht nämlich im Zusammenhang mit der Erweiterung dringend an.

Selbst den Ministern scheint nicht klar zu sein, wie sie die weit auseinander liegenden Positionen zur Deckung bringen sollen. Bereits am Tag der Eröffnung dachten sie laut über eine Verlängerung der Verhandlungen nach, die eigentlich im Dezember, kurz vor Weihnachten zu Ende sein sollen. Unwürdigen Kuhhandel, wie bei anderen EU-Veranstaltungen, sollte es nicht geben, das stößt den europäischen Wähler ab. Und der soll schließlich im Juni nächsten Jahres, durch die Verfassungsdiskussion frisch motiviert, so die Idee, ein neues europäisches Parlament wählen. Außerdem muss die Verfassung in zahlreichen Ländern per Volksentscheid gebilligt werden.

Ausnahmen möglich

Sollte sich die Regierungskonferenz am Ende völlig festfahren, wäre ein möglicher Ausweg das sogenannte "Opting-out", also die Möglichkeit für einzelne Staaten, nicht alle Beschlüsse der EU umzusetzen. Dänemark, Großbritannien und Irland haben bereits jetzt eine Reihe von "Opting-outs". So lässt es sich in der Union bequem einrichten. Man nimmt nur das, was gefällt. Damit wäre die Union als enger Staatenbund allerdings tot. Es bliebe ein loser Bund von Nationalstaaten. Ein Rückschritt, der Europa in der Welt schwächen würde.

Pat Cox, der Präsident des Europäischen Parlaments, hatte Recht, als er in Rom sagte, die Verfassung sei die einmalige Chance, ein Jahrzehnt der Selbstbespiegelung zu überwinden und endlich handlungsfähige Strukturen zu schaffen. Werden die Staats- und Regierungschefs diese Chance nutzen?