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Richtig rocken mit Gabriel

Marcus Bösch24. Juni 2003

Was treibt eigentlich ein Beauftragter in Sachen Popkultur? Und was sagt uns die Karriere des niedersächsischen Ministerpräsidenten a.D. Sigmar Gabriel über das oft peinliche Verhältnis von Pop und Politik?

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"You're My Heart, You're My Soul"Bild: Kulturzeit

Nach eigenen Angaben ist Sigmar Gabriel schon einmal im Berliner "Underground" unterwegs gewesen. Da der Spitzenpolitiker vor einigen Wochen zum SPD-Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs ernannt wurde, darf man davon ausgehen, dass er damit nicht die Berliner U-Bahn meinte.

Herr Gabriel wird Popper

Sigmar Gabriel ist wieder da. Sein süffisanter Kommentar zum endgültigen Aus der Pop-Combo Modern Talking ("längst überfällig") brachte ihm neben einem Haufen aufgebrachter E-Mails auch eine öffentlichkeitswirksame Schlagzeile in der Bild-Zeitung. Nach tüchtiger Wahlschlappe Anfang des Jahres war es zunächst still geworden um den ehemaligen Hoffnungsträger der SPD, den viele bereits als nächsten Kanzlerkandidaten gesehen hatten. Aus dem jüngsten Ministerpräsidenten Deutschlands wurde fluchs der jüngste Ministerpräsident a.D.

Jetzt soll sich Gabriel, der hauptberuflich die SPD-Opposition im niedersächsischen Landtag führt, auch noch um die Popkultur im Allgemeinen und den Popdiskurs im Speziellen kümmern. Was das jetzt genau bedeutet, erklärt ein Sprecher der SPD in Berlin: "Der ehemalige Ministerpräsident soll in dieser Funktion als Bindeglied zwischen der Partei und Prominenten fungieren." Und da Gabriel bereits ein Rockkonzert organisiert hat und sich als Wahlkämpfer auch gerne mit Musikern wie Udo Lindenberg oder Peter Maffay zeigt, schien er dem Präsidium schnell als richtige Wahl.

Udo Lindenberg
Udo LindenbergBild: AP

Lustiges Phantasieamt?

Die "Szene" und die "Lebenswirklichkeit der jungen Generation" will man in der SPD von nun an stärker berücksichtigen. Viele Termine hatte der Popbeauftragte bisher allerdings noch nicht. Dennoch nutzt Gabriel jede Chance, die zentrale Rolle seiner neuer Funktion zu betonen. Schließlich handle es sich um eine echte Querschnittsaufgabe und um eine riesige, sehr wichtige Branche. Bisher trägt ihm das Amt allerdings mehr Spott als Ehre ein. "Ein lustiger Gag, aber kein Einstieg in eine ernsthafte Diskussion", kommentiert Dieter Gorny, Chef des Musiksenders VIVA.

Mit Skepsis betrachten auch die anderen Parteien das Treiben des Pop-Politikers. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff von der CDU betont, dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger ganz gewiss kein Pop-Beauftragter der CDU und auch nicht Popdiskurs-Beauftragter sei. Zudem mehren sich die Stimmen, die Gabriels neues Amt gar als eine Art Trostpflaster verstehen: Ein Phantasieamt für einen gestürzten Ministerpräsidenten.

Christian Wulff
Christian WulffBild: AP

Cool Germania

Die Kombination von Pop und Politik gilt bei Experten seit jeher als schmale Gratwanderung zwischen kurzzeitigem Erfolg und dauerhafter Niedertracht. Groß ist die Chance das anvisierte Wahlvolk dauerhaft zu verstimmen. Tanzende Spitzenpolitiker in so genannten In-Clubs oder schrecklich lockere Annäherungen an Phänomene wie die Berliner Love-Parade sind allgemein eher in schlechter Erinnerung geblieben. Zudem hat eine extrem erfolgreiche Wahlkampgane wie Tony Blairs Pop-Offensive 1998 unter dem Motto "Cool Britannia" in Deutschland keine Chance. Der Grund: International anerkannten britischen Rockbands stehen in Deutschland nur eine handvoll alternder Deutschrocker gegenüber.

Oasis Rockband
OasisBild: AP

Letztlich lässt sich bei der politischen Auseinandersetzung mit dem Thema Pop eine gewisse Glaubwürdigkeit nur langsam und hart erarbeiten. Im Gegensatz zu Pop-Politiker Gabriel, der damit protzt schon Lieder aus dem Internet geladen zu haben, war seine grüne Kollegin Claudia Roth immerhin mal Managerin der wichtigsten deutschen Polit-Band "Ton, Steine, Scherben". Das ist allemal lässiger als ein Udo-Lindenberg-Konzert auf der Loreley. Da hielt sich nämlich Herr Gabriel in den 1970er Jahren am liebsten auf.