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Der Patient Euro

29. Juni 2010

Der Euro kränkelt. Ist er leicht verschnupft oder leidet er an einer unheilbaren Krankheit? Soll man ihm Sterbehilfe leisten oder sind brauchbare Rezepte auf dem Markt? Die Diskussionen darüber sind in vollem Gange.

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Wim Duisenberg feierte mit Kindern der 12 Euro-Länder die Einführung des Euro-Bargeldes Ende 2001 (Foto: AP)
Da war die Welt noch in Ordnung: Ex-EZB-Präsident Wim Duisenberg feiert die Einführung des Euro-Bargeldes Ende 2001Bild: AP

"Der Euro ist nach meiner festen Überzeugung inzwischen gescheitert." Das sagt Hans Olaf Henkel, ehemaliger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, BDI. Den Grund liefert er gleich mit: "Wir haben uns an die eigenen Vorgaben, die den Euro sicherlich zu einem Erfolg geführt hätten, nicht gehalten." Und eine der ersten Regierungen, die diesen Fehler gemacht haben, sei die deutsche rot-grüne Regierung gewesen, indem sie den Stabilitätspakt zusammen mit der französischen Regierung damals aufweichte, sagt Hans Olaf Henkel.

Mit anderen Worten, man sollte nicht immer mit dem Finger auf Griechenland zeigen, als wären die Hellenen allein schuld an der ganzen Misere. Selbstkritisch gibt sich auch der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok: "Hier ist das Gefühl in Brüssel sehr oft, wenn die Großen das Recht brechen, verändern sie das Recht; und wenn die Kleinen das Recht brechen, werden die aufgehängt. Hier müssen wir deutlich machen, dass wir Deutschen hier auch ein Stück Verantwortung haben, um dieses Vertrauen in unsere eigene Haltung wieder herzustellen."

"Das ist ja fast ein Putsch"

Der frühere BDI-Präsident Hans Olaf Henkel (Foto: AP)
Der frühere BDI-Präsident Hans Olaf Henkel plädiert für einen Austritt Deutschlands aus der WährungsunionBild: AP

Doch die zögerliche Haltung der Bundesregierung im Krisenmanagement hat das Vertrauen in den Euro nicht gerade gestärkt. Anfang Mai musste ein 750-Milliarden-schweres Rettungspaket für den Euro geschnürt werden, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Im Eiltempo wurde der deutsche Anteil von 147 Milliarden Euro beschlossen, für Hans Olaf Henkel, den ehemaligen Chef-Lobbyisten der deutschen Industrie, ein einmaliger Vorgang: "Man stelle sich das mal vor, einen halben Tag der Bundestag, am gleichen Tag der Bundesrat und am darauf folgenden Tag hat der Bundespräsident das Gesetz unterschrieben - so was hat es in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. Das ist ja fast ein Putsch, der da veranstaltet wurde."

Solche Zuspitzung meidet der Bankenverbandspräsident Andreas Schmitz, er weist jedoch auf einen schwerwiegenden Fehler der Bundesregierung hin, "indem sie den Scheck schon ausgeschrieben hat, bevor sie sich den Wechsel hat querschreiben lassen. Wenn man das Geld schon auf dem Tisch liegen hat, wird es schnell genommen. Man hätte es erst hinhängen müssen und sagen, das kannst du nur dann haben, wenn du vorher das und das unterschreibst oder akzeptierst."

Europäischer Währungsfonds

Nun muss die EU mit den gemachten Fehlern leben und sich auf die Suche nach Rezepten für den Patienten Euro begeben.

Die Euro-Skulptur leuchtet in Frankfurt am Main vor der Zentrale der Europäischen Zentralbank (Foto: dpa)
Die Europäische Zentralbank ist in der Frage des Europäischen Währungsfonds zerstrittenBild: Picture-alliance/dpa

Der vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble favorisierte Europäische Währungsfonds, kurz EWF, wurde von manchen Währungshütern in Europa scharf kritisiert. Sie fürchten, dass ein solcher Fonds dazu führen würde, dass die hochverschuldeten Staaten in ihren Sparbemühungen nachlassen. Zudem käme er für die jetzige Krise zu spät. Nach dem Motto: Fernes Wasser löscht nicht den drängenden Durst, kommt der EWF als Rezept vorerst nicht in Betracht.

Europäische Wirtschaftsregierung

Das meist angepriesene Mittel heißt im Moment: eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung. Bis vor Kurzem stand Frankreich mit dieser Idee noch ziemlich alleine da. Erst schwenkte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel um, nun herrschte auf dem letzten EU-Gipfel (17.06.2010) sogar Konsens über die Vorstellung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Nur ist zu befürchten, dass jeder etwas anderes unter dieser "Wirtschaftsregierung" versteht. Europa-Experte Christian Calliess von der Freien Universität Berlin geht eher von mehr Kontrolle auf der EU-Ebene als von der Gestaltung einer Wirtschaftspolitik aus: "Wenn es um Kontrollkompetenzen geht, also verbesserte Zuständigkeiten der Kommission oder überhaupt der Gemeinschaftsorgane mit Blick auf die Kontrolle der Haushalte der Mitgliedsstaaten, dann kann ich mir hier einiges vorstellen." Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik könne er sich dagegen nicht vorstellen, dazu sei die EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten zu heterogen.

Elmar Brok: Mitglied des Europäischen Parlaments
Elmar Brok, Mitglied des Europäischen ParlamentsBild: Presse

Der Europapolitiker Elmar Brok formuliert seine Vorstellung so: "Es muss die Möglichkeit geben, dass man Koordinierung betreiben kann und dass man die Instrumente hat, um die vereinbarten Regeln einzuhalten."

Dieses Rezept könnte helfen, an der Zusammensetzung der Medikamente müsste aber noch gefeilt werden.

Geordnete Insolvenz

Einigkeit herrscht darüber, dass nicht die Symptome, sondern die Ursachen der Euro-Krankheit bekämpft werden müssen. Mit anderen Worten: Man muss die Staatsverschuldung in Griff bekommen, damit Spekulationen gegen den Euro der Boden entzogen wird. So wurde auf dem EU-Gipfel Mitte Juni beschlossen, die Überwachung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedsstaaten zu stärken. Wie das konkret umgesetzt wird, wird gerade auf europäischer Ebene eifrig diskutiert. Für Christian Calliess ist es wichtig, dass bei Verletzung der Stabilitätskriterien Sanktionen greifen müssen, "dass nicht mehr im Ministerrat der Europäischen Union über Sanktionen beschlossen wird, sondern dass diese Sanktionen automatisch eintreten. Wir brauchen also einen Automatismus. Und wir brauchen für den Extremfall, siehe den Fall Griechenland, die Möglichkeit, dass ein Staat geordnet in Insolvenz gehen kann."

Ausschluss der Defizitsünder

Andreas Schmitz, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (Foto: dpa)
Andreas Schmitz, Präsident des Bundesverbandes deutscher BankenBild: picture-alliance/ dpa

Das klingt nach einer riskanten Operation, denn damit wäre dann der Ausschluss der Defizitsünder aus der Währungsunion verbunden. Die Konsequenz dieser Rezeptur wäre, dass die Währungsunion in einem kleineren Kreis von Mitgliedsstaaten erhalten bleiben würde, die auch wirklich die Stabilitätskriterien einhalten. Sonst droht der Euro zur Weichwährung zu werden, also chronisch erkrankt, und die Währungsunion würde zu einer Transferunion. Sie sei bereits auf dem Weg dahin, sagt Bankenpräsident Andreas Schmitz, "und zwar auf einem sehr starken Wege dahin. Es ist aber noch die Möglichkeit, dieses Thema durch intelligente und auch strukturelle Verhandlungen mit den EU-Partnern und mit dem Einsatz des deutschen Gewichts auch wieder in einen Stabilitätspakt zu bekommen."

Also auch im Falle des Patienten Euro stirbt die Hoffnung zuletzt.

Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Rolf Wenkel