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"Revolution der Kleinaktionäre"

Steffen Leidel9. April 2004

Die Kleinaktionäre der angeschlagenen Betreibergesellschaft des Eurotunnels haben Macht gezeigt. Sie stürzten den Vorstand. Die Zukunft des französisch-britischen Prestigeobjekts wird dadurch nicht besser.

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Prestigeobjekt Eurotunnel: <br>Neun Milliarden Euro SchuldenBild: AP

Die außerordentliche Hauptversammlung des angeschlagenen Kanaltunnelbetreibers Eurotunnel am Mittwoch (7.4.2004) wird in die europäische Wirtschaftsgeschichte eingehen. Manche Analysten sprechen bereits von der "französischen Revolution der Kleinaktionäre". Aus dem ganzen Land waren Anleger in die Kongresshalle des Pariser Vorortes Villepinte gereist, um mit der Unternehmensleitung abzurechnen. Das Management unter der Leitung des Briten Richard Shirrefs erntete Buhrufe. Und es verlor auch noch seinen Job.

Mehr als 60 Prozent der Anteilseigner lehnten sowohl die Verlängerung des Mandats von Eurotunnel-Chef Shirrefs als auch des Vorsitzenden des Direktoriums, Charles Mackay, ab. Die Rebellion der Aktionäre ist einmalig. Nie zuvor ist es in Frankreich Kleinanlegern gelungen, das Management eines börsennotierten Unternehmens abzusetzen. Bisher hatte man so viel Macht nur Großanlegern zugetraut.

Aktie abgestürzt

Eurotunnel ein Zug kommt aus dem Tunnel auf der französischen Seite
Zug kommt aus dem Tunnel auf der französischen SeiteBild: presse

Angeführt wurde der Aktionärsaufstandes von dem Finanzjournalisten Nicolas Miguet. "Das ist ein Sieg für die Aktionärsdemokratie", sagte der Börsenbrief-Verleger. Er hatte die außerordentliche Versammlung im Dezember vergangenen Jahres gerichtlich erzwungen, nachdem bekannt geworden war, dass das Unternehmen 2003 einen Verlust von 2,5 Milliarden Euro gemacht hatte. Trotz seines eher zweifelhaften Rufes konnte der schillernde Autoliebhaber Miguet, der einst mit rechten Sprüchen von sich reden machte, viele der verzweifelten Kleinaktionäre auf seine Seite ziehen. Die Aktie von Eurotunnel hat seit 1987 90 Prozent an Wert eingebüßt.

Die bisherige Konzernspitze bekam nur von 8,3 Prozent der Anteilseigner Unterstützung. Hinter Shirrefs hatten sich vor allem die institutionellen Investoren gestellt. Shirrefs hatte in vergangenen Wochen noch versucht, die Rebellion aufzuhalten und einen Sanierungsplan namens "Galaxie" präsentiert. Er sah vor allem massive Tarifsenkungen vor. Als "Retter in der Not" wollte Shirrefs den Starmanager und ehemaligen Chef von Euro Disney und Club Méditerranée, Philippe Bourguignon, engagieren. Der sollte Nachfolger des Verwaltungsrats-Vorsitzenden Charles Mackay werden, warf jedoch noch vor der Hauptversammlung das Handtuch.

Enorme Schuldenlast

Eurotunnel steht sprichwörtlich das Wasser bis zum Hals: Seit der Inbetriebnahme des ehrgeizigen Infrastrukturprojekts im Jahr 1994 arbeitet die Betreibergesellschaft mit Verlust. Die Firma mit 3000 Mitarbeitern steht heute mit über neun Milliarden Euro in der Kreide. Insgesamt hat der Bau des Eurotunnels rund 15 Milliarden Euro verschlungen, doppelt so viel wie veranschlagt. Hinzu kamen noch einmal 20 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, die für den Bau von Infrastruktur rund um die Anlage notwendig wurden.

Die Prognosen stellten sich als zu optimistisch heraus. Statt der erwarteten 30 Millionen Bahnpassagiere passieren pro Jahr lediglich 6,8 Millionen Reisende den Tunnel. Auch der Frachtverkehr läuft schleppender als erwartet. Fährunternehmen und Billfluglinien machen dem Tunnelzug Konkurrenz.

Konkurs wahrscheinlich

Neuer starker Mann bei Eurotunnel wird auf Wunsch der Kleinaktionäre Jacques Maillot, populärer Ex-Vorstand des inzwischen von TUI übernommenen französischen Reiseunternehmens Nouvelles Frontieres. Dass der angesehene Maillot, der sich gerne mit schräg bunten Krawatten zeigt und am liebsten auf einem Motorroller zur Arbeit fährt, der richtige Mann ist, der das Unternehmen sanieren kann, glauben nur wenige.

Maillot will sich bald zu einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac treffen und eine Neuverhandlung des Vertrags von Canterbury von 1986 vorschlagen. Damals hatte die britische Premierministerin Margaret Thatcher durchgesetzt, dass der Tunnel ausschließlich privat finanziert wird. Die Aussicht auf staatliche Geldspritzen sind aber eher düster. Die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens haben finanzielle Hilfen ausgeschlossen.