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Engy geht nicht wählen

Viktoria Kleber25. Mai 2012

Revolutionärin Engy hat die Präsidentschaftswahl in Ägypten boykottiert. Denn für sie war es keine demokratische Wahl. Viele Ägypter dagegen gaben gerne ihre Stimme ab, um zum ersten Mal ihr Staatsoberhaupt zu wählen.

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Egyptian women wait in line to vote in the presidential election Wednesday, May 23, 2012, outside a polling station Cairo, Egypt. Nearly a year and a half after the ouster of autocratic leader Hosni Mubarak, millions of Egyptians lined up for hours outside polling stations Wednesday to freely choose a president for the first time in an election that pits old regime figures promising stability against ascending Islamists seeking to consolidate power. (Foto:Fredrik Persson/AP/dapd)
Ägypten Wahlen in KairoBild: AP

Viele Ägypter hatten sich auf die Tage gefreut, an denen sie ein Kreuzchen machen und ihren Finger in die Phosphortinte drücken dürfen - als Zeichen dafür, dass sie bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme abgegeben haben. Engy freute sich nicht.

Die junge Frau ist 1,67 Meter groß, trägt Kopftuch und ist eine Revolutionärin der ersten Stunde. Sie war von Beginn an bei den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz dabei. Über ihrem Bett hängt die ägyptische Flagge: rot, weiß, schwarz, in der Mitte der goldene Adler Saladin. Engys Forderungen pappen als Aufkleber an der Wand in ihrem Zimmer. "Nein zu Militärgerichten" und "Militärrat, tritt ab!" steht da. Engy hat noch nie ihr eigenes Staatsoberhaupt gewählt und auch jetzt wählte sie nicht. "Ich boykottierte die Wahl."

Die 33-Jährige glaubt, dass sie die Präsidentschaftswahlen als rechtmäßig anerkennt und dem Militärrat ihr Vertrauen ausspricht, wenn sie ihre Stimme abgibt. "Glaubst du wirklich, der Chef des Militärrats, Tantawi, setzt sich vor die Glotze und wartet ab, wer der nächste Präsident wird?" fragt sie. "Das ist doch alles schon ausgemacht."

Wer hat wie viel Macht?

Denn demokratische Wahlen sehen für Engy anders aus. Bereits im Vorfeld hat die Wahlkommission, bestehend aus Getreuen des ehemaligen Präsidenten Mubarak, die Stars der Muslimbrüder und der Salafisten, Chairat El-Schater und Abu Ismail, ausgeschaltet. Den einen, weil er zu Mubaraks Zeiten im Gefängnis gesessen hat, den anderen, weil seine Mutter einen amerikanischen Pass besitzt.

Wahlplakate hängen an einer Straße in Ägypten (EPA/KHALED ELFIQI)
Wer als Kandidat zugelassen wurde, ist nicht immer nachvollziehbarBild: picture-alliance/dpa

Gleichzeitig durften die Kumpanen des alten Präsidenten antreten, obwohl das Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, das alten Regimetreuen die Kandidatur verbieten sollte. Hinzu kommt, dass Soldaten und Beamte kurzerhand auf Wahllisten katapultiert wurden – obwohl sie laut Wahlgesetz nicht wählen dürfen, um ihnen die politische Loyalität zum Staat zu gewähren. Sie wissen, wen sie anzukreuzen hatten – Kandidaten vom alten Lager.

Und auch die Kandidaten scheinen sich an alte Zeiten zu erinnern. Zahlreiche Verstöße gegen das Wahlgesetz wurden der Wahlkommission gemeldet: Der Kandidat der Muslimbrüder, Mohammed Mursi, der ins Rennen geschickt wurde, nachdem abzusehen war, dass El-Schater die Teilnahme verboten wird, hat angeblich per Bus Wähler zur Stimmabgabe kutschieren lassen. Ahmed Schafik, Mubaraks alter Premier, soll für Wählerstimmen ein paar ägyptische Pfund ausgegeben haben.

Und Engy kritisiert weiter: Es gebe noch keine Jobbeschreibung für den neuen Präsidenten. Die Verfassung ist noch nicht ausgearbeitet. Wie viel Macht der neue Präsident, das Parlament und der Militärrat haben werden, ist noch nicht entschieden. Hinzu kommt, dass sich keiner der Kandidaten zu dem Punkt geäußert hat, der die Ägypter am meisten beschäftigt: Wie viel Macht behält das Militär? Regiert es hinter den Kulissen weiter oder wird es für seine Untaten - wie das brutale Vorgehen gegenüber Demonstranten - zur Verantwortung gezogen?

Beliebt bei den Wählern: Mubarak-Getreuer Schafik

Während sich bei Engy Frustration breit macht, reihten sich Tausende von Äyptern in die Schlangen vor den Wahllokalen ein - Frauen links, Männer rechts und die Alten, ab 60 Jahren, durften mittendurch. Vor dem Eingangstor standen bewaffnete Soldaten und Polizisten, sie sorgten für Ordnung.

Soldaten helfen einer älteren Dame aus dem Wahllokal (Foto: REUTERS/Asmaa Waguih)
Soldaten sichern die WahlenBild: Reuters

"Es ist ein großer Tag für Ägypten", sagt Ibrahim. Er ging nicht durch die Mitte zum Eingang des Wahllokals in Dokki, einem Stadtteil von Kairo – obwohl er wohl alt genug dafür wäre. Ibrahim nutzte die Zeit in der Schlange, um mit anderen Herren zu diskutieren. Er genoss den Moment, zum ersten Mal das eigene Staatsoberhaupt zu wählen.

Sein Kandidat ist Ahmed Schafik, der unter Mubarak Premierminister war. Schafik ist der Mann, den der ehemalige Präsident seinen dritten Sohn nannte. "Er hat Erfahrung", sagt Ibrahim, "ohne Erfahrung kann man ein Land wie Ägypten nicht regieren".

"Entschuldigung, eure Kinder sind umsonst gestorben"

Was sich Ibrahim wünscht, ist für Engy ein Albtraum: ein neuer Mubarak an der Spitze. "Für was sind wir auf die Straße gegangen, wenn alles weitergeht wie bisher?" Traurig und wütend ist sie, wenn sie von Wählern wie Ibrahim hört. "Was sollen wir den Familien der Märtyrer sagen, wenn so jemand neuer Präsident wird: Entschuldigung, eure Kinder sind für nichts gestorben?"

Menschen demonstrieren auf dem Tahrir-Platz in Ägypten (Foto: EPA/KHALED ELFOQI)
Auch Engy war unter den Demonstranten auf dem Tahrir-PlatzBild: picture-alliance/dpa

Doch auch in den Reihen der Revolutionäre ist man sich nicht einig. Viele boykottierten die Wahl, andere wählten den früheren Generalsekretär der Arabischen Liga Amre Moussa oder den Ex-Muslimbruder Aboul Fottouh, den liberalen Hamdien Sabbahi oder Khaled Ali, den einzigen Revolutionär unter den Kandidaten – der aber chancenlos ist.

Fest steht nur: Ahmed Schafik wollen die Revolutionäre nicht. Nachdem der Präsidentschaftskandidat seine Stimme abgegeben hatte, wurde er außerhalb des Wahllokals mit Schuhen beworfen. Ein Affront in der arabischen Welt. Das Bild machte auf Facebook und Twitter schnell die Runde. "Kann so ein Präsident aussehen?", amüsierten sich Schafik-Gegner.

Fünf Kandidaten haben Chancen

Am Montag werden voraussichtlich die Wahlergebnisse veröffentlicht. Zwischen den besten zwei Kandidaten gibt es dann eine Stichwahl. Bis dahin wird kräftig spekuliert. Fast jeder der 13 Kandidaten hat Umfrage-Ergebnisse veröffentlicht, in denen er vorne mit dabei ist. Fünf Kandidaten haben Chancen es in die zweite Runde zu schaffen. Wer aber tatsächlich die meisten Stimmen bekommt, ist nicht abzusehen.

Die fünf aussichtsreichsten Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl in Ägypten im Porträt (DW Grafik)
Fünf Kandidaten haben Chancen, in die zweite Runde zu kommen - nur zwei werden es tatsächlich schaffenBild: Reuters

Doch egal, wer in die Stichwahl kommt, Engy wird auch zu dieser Wahl nicht gehen – aus Protest gegen den Militärrat. "Erst wenn wir faire Spielregeln haben“, sagt sie, "gehe ich wählen und tunke meinen Finger danach auch mal in den Farbkasten."