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"Unglaublich anmaßend"

Andrea Grunau20. Dezember 2013

Aufregung um eine Zeugenaussage im NSU-Prozess in München: Der Vater des toten Hauptverdächtigen Uwe Mundlos beschimpfte den Richter. Im DW-Interview schildert Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer seine Eindrücke.

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Porträt des Berliner Rechtsanwalts Sebastian Scharmer (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Im Prozess um die Morde und Bombenanschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) wurde der Vater von Uwe Mundlos als Zeuge befragt. Uwe Mundlos gilt gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe als Haupttäter des NSU-Terrors. Die Männer wurden im November 2011 tot aufgefunden. Die Polizei geht von Selbstmord aus.

DW: Herr Scharmer, der Zeuge Siegfried Mundlos hat diese Woche beim NSU-Prozess den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl beschimpft - was ist da passiert?

Sebastian Scharmer: Der Vorsitzende Richter hat ihn gefragt, ob er mit seinem Sohn darüber gesprochen hat, dass sich Uwe Böhnhardt in der rechten Szene radikalisierte. Daraufhin sagte Herr Mundlos, "Sie kleiner Klugsch…". Es sollte wohl heißen, "Sie kleiner Klugscheißer". Später sagte er zu Herrn Götzl, er wäre arrogant, weil er ihn nicht als Professor sondern als Dr. Mundlos anredete. Als Krönung fing er irgendwann an, während der Vernehmung einen Apfel zu essen. Das reichte dann auch dem Vorsitzenden.

Welchen Eindruck hat der Vater dieses Hauptverdächtigen vor Gericht hinterlassen?

Für mich hat er einen fast wahnhaften Eindruck hinterlassen. Es ist natürlich sehr schwierig, damit umzugehen, dass der eigene Sohn möglicherweise zehn Menschen umgebracht hat und versucht hat, viele weitere mit Bombenanschlägen umzubringen. Auf der anderen Seite denke ich, was Herr Mundlos hier geboten hat, war eine Respektlosigkeit nicht nur gegenüber dem Gericht, sondern auch gegenüber den Angehörigen der NSU-Opfer. Er hat gesagt, der NSU hätte eigentlich 12 Opfer, er meinte damit wohl auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Das ist unglaublich anmaßend. Er hat die Opferperspektive total auf den Kopf gestellt. Das hat mit der Realität nichts zu tun. Mir ist wichtig, dass man diesen Verschwörungstheorien, die Herr Mundlos hat, nicht all zu viel Raum gibt. Auf der anderen Seite finde ich die Grundaussage richtig: Es gab V-Männer des Verfassungsschutzes oder Leute in der Nazi-Szene, die vom Verfassungsschutz bezahlt worden sind, die zur Radikalisierung dieses Trios beigetragen haben. Aber er übertreibt es so stark, dass es fast schon grotesk wird.

Wie wirkt ein solcher Auftritt auf eine Nebenklägerin wie Ihre Mandantin Gamze Kubasik, die durch die NSU-Mordserie ihren Vater verloren hat?

Ich habe mit Frau Kubasik darüber gesprochen und sie sagte, dass sie froh war, nicht dagewesen zu sein, weil diese Aussage schwer erträglich gewesen wäre.

Rund 70 Verhandlungstage gab es im Auftaktjahr des NSU-Prozesses. Gerade die Nebenkläger wollen wissen, wer verantwortlich war für Morde und Anschläge und wer mitgeholfen hat - was hat der Prozess bis jetzt erbracht?

Wir sind am Anfang der Aufklärung. Wir haben als erstes die Tatorte Stück für Stück abgearbeitet und die Zeugen dazu. Wir sind jetzt bei den sogenannten Strukturzeugen aus dem Umfeld der Angeklagten. Da wird interessant: Wer war noch im Unterstützerumfeld des NSU, wer hatte welche Anteile an den Taten und wer war möglicherweise noch darin verstrickt? Da sind wir noch nicht so weit gekommen. Das wird eine ganz wichtige Aufgabe für den restlichen Prozess, dass wir die Zeugen aus dem Umfeld des NSU, auch aus dem Umfeld des Verfassungsschutzes intensiv befragen und versuchen herauszufinden, wer noch alles dahinter steckte.

Als problematisch gilt der Umgang staatlicher Stellen mit dem NSU-Komplex, gab es dazu schon Erkenntnisse?

Die Aussagen der jeweils leitenden Ermittler an den Tatorten waren nicht von Selbstkritik oder Hinterfragen des eigenen Handels geprägt, ganz im Gegenteil. Wir hatten da Ermittler sitzen, die auch heute noch fast mit stolzgeschwellter Brust sagen, "wir haben alles richtig gemacht". Ich hätte erwartet, dass da zumindest im Nachhinein gesagt wird, "ja, das haben wir falsch gemacht, da haben wir möglicherweise in die falsche Richtung ermittelt", aber weit gefehlt. Die meisten von denen sind immer noch in leitender Position, ein dramatisches Signal für die Angehörigen.

Sie und andere Vertreter der Nebenklage haben gewünscht, dass mehr Akten in das Verfahren einbezogen werden, etwa zur Anwesenheit eines Verfassungsschutzmitarbeiters am Tatort des Mordes in Kassel. Könnte das helfen, Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen?

Genau, gerade solche kruden Verschwörungstheorien, wie sie Siegfried Mundlos präsentiert hat, die wachsen natürlich auf einem Boden von Intransparenz. Es ist überhaupt nicht hilfreich, wenn da nicht alle Akten auf den Tisch kommen. Die Generalbundesanwaltschaft führt weitere Verfahren gegen mindestens neun Personen. Für diese Verfahren bekommen wir als Nebenklage-Vertreter keine Akteneinsicht. Das ist ein Kernproblem des Verfahrens, dass die Transparenz, die sich alle Nebenklägerinnen und Nebenkläger, alle Opfer und Angehörigen wünschen, die für die Aufklärung auch zwingend notwendig ist, nicht hergestellt wird. Das wird das weitere Verfahren prägen, dass wir um jedes Stück Akte, das wir brauchen, kämpfen müssen.

Welches sind die wichtigsten Fragen, denen sich der Prozess im nächsten Jahr widmen muss?

Was nächstes Jahr Thema werden wird, ist zum einen der Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter und der Mordversuch an ihrem Kollegen, die Bombenanschläge in Köln und auch der mögliche Taschenlampen-Bombenanschlag in Nürnberg. Das Wichtigste wird unser Versuch sein, die Rolle der Angeklagten in einem Unterstützernetzwerk zu beleuchten und den Blick darauf zu lenken, dass der NSU eben nicht aus drei durchgeknallten Gewalttätern bestand, sondern eingebunden war in eine Struktur, die weit größer war.

Rechtsanwalt Sebastian Scharmer aus Berlin vertritt seit Verhandlungsbeginn am 6. Mai 2013 beim NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München die Nebenklägerin Gamze Kubasik. Ihr Vater Mehmet Kubasik wurde am 4.4.2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen und gilt als achtes Opfer der NSU-Mordserie.

Das Interview führte Andrea Grunau.