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Reporter-Tagebuch: Ruanda

4. November 2010

Nebelwälder, ugandischer Pop, belgische Filmemacher und eine Gedenkstätte - beim Dreh in Ruanda traf unser Reporter Carl Gierstorfer auf Menschen aus anderen Ecken der Welt - und das Echo einer sehr dunklen Zeit.

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Straßenszene aus Luftperspektive (Foto: DW/Carl Gierstorfer)
Blick aus dem Hotelfenster unseres ReportersBild: Carl Gierstorfer

Freitag, 17. September, Kigali

Erster Tag in Kigali. Wir sind im Herzen Afrikas – aber Ruanda sträubt sich gegen die Klischees. Die Straßen werden jeden Tag gefegt; Plastiktüten sind verboten (sie werden dem Einreisenden am Flughafen abgenommen);  die Mopedtaxis (Motos) haben Helm für Fahrer und Beifahrer.

Trotzdem: Geld wird nur in den großen Banken gewechselt. In den Hotels rund um den Nyabugogo Busbahnhof gibt es fließend Wasser nur morgens und abends. Stromausfälle sind so plötzlich wie selbstverständlich.

Abends, im Planet Nightclub. Hier tanzt Kigalis Jugend, ein paar Mzungus (Weiße) und Prostituierte: Kongolesischer Rumba, Pop aus Uganda, Ragga aus Kenia, Rap aus Tansania. Eine aufgeheizte Melange, die bis ins Morgengrauen feiert. Die Regenzeit kündigt sich mit einem heftigen Gewitter an.

Sonntag, 19. September, Gisenyi

Auf dem Weg nach Gisenyi, der Grenzstadt zur Demokratischen Republik Kongo. Ruanda hatte schon immer die besten Straßen Afrikas. Heute konkurriert die deutsche STRABAG mit China um den Ausbau des Netzes. Die letzen Kilometer auf  perfektem SRABAG-Asphalt mit prächtigem Blick auf den Kivusee und die mächtigen Vulkane. Professor Fischer und seine Forscherkollegen von der Universität Koblenz-Landau bei der Lagebesprechung. Das erste Ziel: eine Exkursion in den Gishwati-Wald, der Rest eines Bergnebelwaldes, zwei Stunden Buschpiste landeinwärts.

Eberhard Fischer hat sein ganzes Forscherleben hier verbracht. 24 Jahre lang - auch im Chaos von 1994, als er vor den Hutu-Milizen flüchten musste und tagelang als vermisst galt. Doch die Politik ist nicht Fischers Thema. Ihn interessiert die Flora, Orchideen im Speziellen. Er und sein kongolesischer Assistent Bonny Dumbo parlieren mehr im Latein der Gattungen und Arten als auf Französisch. Bonny stammt aus den umkämpften Südkivus und hat nie studiert.

Unser Laptop hat einen Software-Schaden. In Zeiten der digitalen Berichterstattung eine Katastrophe. Wir werden improvisieren müssen.

Montag, 20. September, Gishwati-Wald

Der Einstieg in den Wald zeigt das Dilemma dieses Landes: die kleinen Felder der Bauern, Bohnen-, Hirse-, oder Bananenpflanzungen reichen bis unmittelbar an den Waldrand. Dann beginnt der Sekundärwald, nach Einschlag und Abholzung wieder gewachsener Wald. Es dominieren wenige Arten, viele von den Kolonialmächten Deutschland und Belgien eingeschleppt. Tierarten finden hier nur wenige Nischen.

Bewaldetes Hügelpanorama (Foto: DW/Carl Gierstorfer)
Der Nyungwe-Nationalpark in RuandaBild: Carl Gierstorfer

Doch je tiefer wir auf Trampelpfaden in den Wald eindringen umso feuchter und schummriger wird es in dem Dickicht. Fast jedes Jahr findet Fischer hier neue Pflanzen.

Sein Kollege Thomas Wagner ist  Entomologe – sein Interesse gilt den Insekten. Manche Käfer fressen nur die Blätter ganz bestimmter Pflanzen. In diesem fein abgestimmten Ökosystem kann selbst der Verlust einer Art verheerende Folgen haben.

Professor Fischer sagt, er will so viele Arten als möglich beschreiben. Erst wenn man ihnen einen Namen gibt, ihre Existenz veröffentlicht, kann man sie schützen. Manchen in Politik und Wirtschaft wäre Unwissen lieber – keiner würden den Verlust einer nicht bekannten Art registrieren.

Freitag 24. September, Butare

Butare (Huye), die einstige Hauptstadt Ruandas, ist mit seiner Universität ein intellektuelles Zentrum. Die Universität Koblenz-Landau betreibt hier eine Forschungsstation. Das Ziel: mit intelligenten Anbaumethoden die Bodenerosion zu stoppen. Ruanda hat fruchtbares Ackerland. Doch Abholzung, intensive Landwirtschaft und starker Regen reduzieren die Scholle: 250 Tonnen pro Hektar gehen Jahr für Jahr verloren.

Siegmar Seidel ist Leiter des Agroforstprojektes. Pflanzt man tiefwurzelnde Heckenpflanzen an die Grenzen der Äcker, lässt sich die Erosion bis auf wenige Tonnen pro Hektar und Jahr reduzieren. Nun gilt es die Hecken in ganz Ruanda zu verbreiten.

Seit drei Jahren lebt Seidel hier. Sein Haus, ein gemütlicher Bungalow, ist ein Idyll. Hier gibt es endlich einen Computer, wo wir unser Drehmaterial sichern können.

Abends Weiterfahrt in den Nyungwe Nationalpark, der größte Bergnebelwald Ruandas.

Samstag, 25. September, Nyungwe-Wald

Wir wollen Schimpansen suchen! Sie sind Frühaufsteher also müssen auch wir um vier Uhr morgens aus den Betten. Der Morgen ist kühl, mit dem Jeep geht es in ein entlegenes Waldgebiet Richtung kongolesische Grenze.

Doch wir sind zur falschen Zeit gekommen. Es ist das Ende der Trockenzeit, das Futter für die Schimpansen ist rar. Deshalb teilen sie sich in kleine Gruppen auf und suchen ein weites Gebiet nach Früchten und essbaren Pflanzen ab. Wir bahnen uns mit Macheten den Weg durch das Dickicht, hören sogar einmal die Laute einer nah gelegenen Gruppe von Schimpansen. Eine halbe Stunde später sind sie hunderte Meter entfernt. Enttäuscht müssen wir unsere Suche aufgeben.

Sonntag, 26. September, Gitarama

Mann mit Filmkamera am Auge (Foto: DW/Carl Gierstorfer)
Der belgische Filmemacher Georges KamanayoBild: Carl Gierstorfer

Zu Besuch bei Georges Kamanayo. Der belgische Filmemacher ist vor kurzem hierher zurückgekehrt, in das Haus seines Vaters. Dieser betrieb in den 1940er Jahren in der Gegend eine Mine, ist aber nach der Unabhängigkeit nach Europa zurückgekehrt. Georges ist das uneheliche Kind, das sein Vater mit einer Ruanderin gezeugt hatte. Georges hat seinen Vater erst vor wenigen Jahren kennen gelernt.

Über die Suche nach seinem leiblichen Vater hat Georges einen Film gedreht, den er uns vorführt. Sein Anwesen ist prachtvoll renoviert: mit Gästezimmern, überdachter Terrasse und Swimmingpool. Wir genießen die Gastfreundschaft und den Luxus nach der bisher anstrengenden Reise.

Montag, 27. September, Kigali

Reihe von Schädeln (Quelle: DW/Carl Gierstorfer)
In Ntarama erinnern Gedenkstätten an den GenozidBild: Carl Gierstorfer

Unser letzter Tag in Ruanda. Etwas außerhalb von Kigali liegen Gedenkstätten des Genozids. Ntarama ist ein Weiler abseits der Straße Richtung Süden, eine Kirche aus Backstein, in deren Flanke ein großes Loch klafft. 4000 Menschen haben hier Zuflucht gesucht, wurden verraten und von Hutu-Milizen abgeschlachtet. Heute sind die Schädel und Gebeine in der Kirche aufgebahrt. Die Kleider, Pässe und Rosenkränze der Toten sind eine schaurige Erinnerung an das Unvorstellbare, das hier geschah.

Schweigend fahren wir zurück nach Kigali. Es ist erstaunlich wie die Menschen das Trauma des Genozids hier verarbeitet haben, wie positiv man in die Zukunft blickt. Die Kraft zum Vergeben, Täter wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen, ist ein Vorbild für den Rest der Welt.

Autor: Carl Gierstorfer
Redaktion: Ranty Islam