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Reporter-Tagebuch: "Kälte macht hungrig."

2. März 2010

Unsere Reporterin Mareike Aden hat im letzten echten Urwald Russland gemerkt, dass sie auch gut ohne Handy leben kann.

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Mareike Aden beim Dreh im Schnee (Foto DW / Mareike Aden)
Bild: Mareike Aden
Kameramann Ilja vor Haus in Krasnij Kar (Foto: DW / Mareike Aden)
Endlich am Ziel - Nach acht Stunden Flug und fünf Stunden auf holprigen StraßenBild: Mareike Aden

Einfache Verhältnisse und minus 30 Grad

Endlich sind wir angekommen in Krasny Jar, einem kleinen Dorf mitten in der Taiga im Fernen Osten Russlands. Acht Stunden sind wir von Moskau in die Stadt Chabarowsk geflogen. Dann ging es weiter mit dem Geländewagen, fünf Stunden lang, zum Teil über vereiste, ruckelige Waldwege.

Kameramann Ilja und ich sind müde nach der langen Reise und wegen des Zeitunterschieds von sieben Stunden. Ich träume von einer heißen Dusche – schließlich sind es draußen unter minus 30 Grad. Doch einen Wasseranschluss haben nur wenige der 600 Dorfbewohner und bei allen sieht die Toilette mehr oder weniger gleich aus: Ein Bretterverschlag und ein Loch im Boden.

Trotzdem bekomme ich eine Art Dusche bei Tatjana, unserer immer lachenden Gastgeberin. In der Holzbanja im verschneiten Garten steht ein Ofen, sie erhitzt Wasser für mich und gibt mir ein paar Eimer. „So ist das bei uns“, sagt sie und lacht entschuldigend.

Besserer Service als im Hotel

Da es in Krasny Jar kein Hotel oder Gasthaus gibt, übernachten wir während unserer Dreharbeiten bei Tatjana. Sie lacht pausenlos, während sie über sich, ihr Dorf, ihre Familie und ihr Volk erzählt. Tatjana gehört zum Volk der Udegen, einem der Naturvölker des Bikin Tals. Sie ist Lehrerin in der Dorfschule, ihr Mann ist wie so viele Udegen Jäger und Fischer – seit Wochen ist er in der Taiga. Wann er nach Hause kommt, weiß sie nicht so genau, irgendwann in den nächsten Tagen, denn die Jagdsaison ist bald zu Ende. „Hoffentlich kommt er mit viel Beute“, sagt sie und lacht.

Tatjana, eine Udegin aus Krasny Jar (Foto: DW / Mareike Aden)
Perfekte Gastgeberin - Tatjana, eine Udegin aus Krasny JarBild: Mareike Aden

Als ich nach dem Duschen ins Haus komme, ist der Küchentisch mit Essen beladen. „Komm, meine Liebe, iss, iss“, sagt Tatjana und winkt mich an den Tisch. Dort stehen mindestens 15 verschiedene Gerichte: Es gibt russische Pelmeni, gefüllte Teigtaschen, die russischen Pfannkuchen Blini, Kohlsuppe, Kartoffelpüree, mehrere Salate, getrockneten Fisch und einige udegische Nationalgerichte, deren Namen ich mir nicht merken kann.

"Iss, iss“, sagt Tatjana zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Tatjana wusste schon, dass ich weder Fisch noch Fleisch esse und so hat sie von fast jedem Gericht noch eine vegetarische Version gekocht. Mir ist das ein wenig unangenehm, aber sie macht sich Sorgen, dass es mir nicht schmeckt – zu Unrecht, wie ich ihr immer wieder versichere. „Ich weiß ja gar nicht, wie man ohne Fleisch und Fisch kocht“, sagt sie. Der Fisch aus dem Bikin-Fluss und das Fleisch, das die Männer aus der Taiga mitbringen sind die Nahrungsgrundlage für die Udegen.

Kameramann und Gastgeberin hinter gedecktem Tisch (Foto: DW / Mareike Aden)
"Iss, iss!" - Auf dem Plan standen auch udegische NationalgerichteBild: Mareike Aden

Jeden Morgen bevor wir zum Dreh in die Taiga aufbrechen, gibt es Unmengen von Essen. Wenn wir spät abends wiederkommen, ist der Tisch bereits gedeckt. „Iss, iss“, sagt Tatjana immer wieder zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und Ilja und ich essen – denn Kälte macht hungrig. „Dank dir habe ich mir vegetarisch kochen beigebracht“, sagt Tatjana, als wir nach drei Tagen wieder aufbrechen.

Als wir uns auf dem Rückweg Chabarovsk nähern und auf meinem Handy eine Nachricht nach der anderen eintrifft, erschrecke ich mich bei jedem Piepston. Mein Handy hatte ich ganz vergessen während der letzten Tage. Und in meinem E-Mail-Eingang sehe ich 152 Nachrichten. Zum Trost öffne ich das üppige vegetarische Lunchpaket, das Tatjana vor unserer Abreise für mich gepackt hat.

Autorin: Mareike Aden

Redaktion: Klaus Esterluß