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Rennen um Wähler und Kohle

Michael Maldacker 15. März 2004

John Kerry, der designierte Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Demokraten, hält Ausschau nach einem Vize, mit dem er bei der Wahl im Herbst George W. Bush aus dem Weißen Haus vertreiben kann.

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"Running mate" nennen die Amerikaner den Vizepräsidentschaftskandidaten augenzwinkernd. Das heißt etwa soviel wie "der rennende Gefährte", "running-in" wiederum meint "das Einfahren", etwa der Ernte. Das kommt dem Sinn dieses Jobs schon sehr nahe: Der Running Mate soll helfen, so viele Wählerstimmen wie möglich "einzufahren". Denn anders als in Deutschland, wo der Vizekanzler aus den Reihen des kleineren Partners in der Regierungskoalition kommt und folglich auch einen abweichenden Wahlkampf vom möglichen Koalitionspartner führt, stehen in den USA Präsidentenanwärter und Running Mate vom ersten Tag des Wahlkampfs an Seite an Seite vereint.

Gegengewichte gesucht

Zumindest was die soziale und regionale Herkunft angeht, sollten die beiden möglichst komplementär sein, um ein grösstmögliches Spektrum an Wählern zu erschließen. Das ideale Gegengewicht zu John Kerry, der aus einem Patrizier-Elternhaus aus dem neuenglischen Massachusetts stammt, könnte also idealerweise aus einem südwestlichen Bundesstaat und aus einer Arbeiterfamilie kommen. Kommt der Running Mate außerdem aus einem der so genannten "swing states" oder "battleground states", gleicht er einer Eier legenden Wollmilchsau. Swing States sind diejenigen Staaten, in denen bei Präsidentschaftswahlen weder Demokraten noch Republikaner über eindeutige Stimmen-Mehrheiten verfügen. Sie sind Dreh- und Angelpunkt des Wahlausgangs, denn im amerikanischen Wahlsystem reicht ein hauchdünner Stimmen-Vorsprung, um alle Wahlmänner eines Staates zu gewinnen. Zu den wichtigsten Swing States zählen Florida, New Mexico, Michigan, Ohio und Pennsylvania.

Vier heiße Anwärter

Aus Florida, wo Bush vor vier Jahren ganze 537 Stimmen vor Gore lag, kommen denn auch zwei der heiß gehandelten Kandidaten: die beiden Senatoren Bob Graham und Bill Nelson. Während Nelson zwar stolz darauf ist, in der fünften Generation Floridianer (Floridian) zu sein, ist er im Staat nicht so beliebt wie Graham. Der gilt zwar als volksnah, entstammt aber ebenso wie Kerry einer wohlhabenden Familie. Dieses Handicap hat der ausgestiegene Bewerber um das Präsidentenamt John Edwards nicht. Den Senator von North Carolina macht seine familiäre Herkunft zum perfekten Gegengewicht zu Kerry: Vater Textilarbeiter, Mutter Postangestellte. Edwards war der erste in seiner Familie, der aufs College ging. Was den Werdegang anbelangt, ist der ideale Anwärter auf den Job sicherlich Bill Richardson. Der Gouverneur New Mexicos ist Sohn einer mexikanischen Mutter und eines Bankers aus Boston. Er verkörpert das gelebte Märchen hispanischer Einwanderer. Richardson war bereits Botschafter bei der UNO und Energieminister unter Clinton. Er könnte auch konservative Wählerschichten ansprechen, vor allem aber die der Latinos, die mit nahezu 20 Millionen Wahlberechtigten die größte ethnische Minderheit des Landes repräsentieren. Allerdings: Er ist wie Kerry katholisch. Ob das nicht des Guten zuviel ist für das mehrheitlich protestantische Amerika?

Mit Köpfen an die Kohle

Bevor es aber um die Wählerstimmen geht, haben die Demokraten derzeit das Eintreiben von Spendengeldern für die Wahlkampagne im Visier. Auch dabei hilft ein populärer Vizepräsidentschaftskandidat ungemein. Das ist nach Meinung politischer Analysten auch der Grund, warum der Name Hillary Clintons häufig als mögliche Vize Kerrys kursiert; zwar dürften weder Kerry noch Clinton an dieser Liaison Interesse haben: Hillary Clintons Popularität würde Kerry überschatten und Clinton ihrerseits hofft noch immer auf die Chance, in vier Jahren selbst den republikanischen Kandidaten herauszufordern, sollte Kerry in diesem Jahr unterliegen. Aber die Senatorin aus New York eignet sich eben hervorragend als Geldeintreiberin. Sie ist mega-bekannt, war acht Jahre lang Amerikas First Lady und galt während der Präsidentschaft ihres Mannes als der eigentlich kluge Kopf im Weißen Haus.

Vielleicht steigt am Ende aber keiner der derzeitigen Anwärter vom Karussell. Dann könnte sich bei Kerry wiederholen, was George W. Bush schon passiert ist: Dick Cheney, der einen geeigneten Running Mate für Bush finden sollte, stand eines Abends an dessen Schreibtisch und verkündete die erfolglose Suche. Zur Antwort bekam der heutige Vizepräsident zu hören: "Then you do it!"