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"Religiöse Behinderung"

Das Interview führte Carola Hoßfeld26. Februar 2003

George Bush nannte die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus eine "Zeit der Prüfung". Wie diese religiöse Rhetorik zu verstehen ist, darüber sprach DW-RADIO mit dem Religionswissenschaftler Hans-Eckehard Bahr.

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Bush als Prediger: Amerika will den Rest der Welt erlösenBild: AP

Welche Rolle spielt Religion in Amerika?

Prof Dr. Hans-Eckehard Bahr
Prof Dr. Hans-Eckehard BahrBild: IPPNW

Das ist eine sehr alte Tradition, dass Amerika sich als von Gott auserwähltes Volk versteht. Man kam aus der Alten Welt, aus Europa, über den Atlantik. Man suchte die Freiheit, die Meinungsfreiheit und überhaupt die Freiheit sich auszudehnen bis nach Westen über die Indianer hinweg - alles wurde erobert. Ähnlich wie das Volk Israel aus Ägypten aus dem Sklavenhaus herausgeführt wurde, fühlte man sich herausgeführt aus dem Alten Europa. In das Gelobte Land, das von Gott erwählt ist. Das ist eine alte heilspolitische Sendung. Der Gedanke der Erlösung der ganzen anderen Welt außerhalb Amerikas durch Amerika ist dann die Folge. Das ist sehr alte amerikanische Tradition.

Religiöse Kommentatoren in den USA haben in der letzten Zeit einen theologischen Umschwung in der Rhetorik ihres Präsidenten ausgemacht. Seit neuestem spreche er nicht nur von seinem persönlichen Glauben, sondern vom "göttlichen Plan". Versteht sich George Bush als Messias?

Nein, nicht als Messias. Das Problem ist, dass unter Reagan schon eine bestimmte biblische Stelle in dieser Religion, dieser "Nationalreligion" will ich mal sagen, eine Rolle spielte, nämlich, dass wir in der Endzeit leben. In der Zeit des Kampfes des Bösen gegen das Gute, Satan gegen Gott. Aber in der Bibel wird dieser Endkampf am Ende der Tage natürlich von Gott geführt, nicht von Menschen. Aber schon Ronald Reagan hat das auf sich bezogen, dass er diesen Endkampf führen müsse gegen das Reich des Bösen - damals war es die Sowjetunion. Jetzt hat George Bush diesen Gedanken übernommen. Er ist der Gesandte Gottes, der diesen Machtkampf gegen das Böse führen muss. Also, das ist eine endzeitlich-apokalyptische Theologie.

Nun kommen wir auf einen wichtigen Punkt: Ich unterscheide zwei Religionen in Amerika. Die eine Bush, Nationalreligion, God bless America. Das ist so wie bei uns in der Zeit des Kaiser Wilhelm: "Gott mit uns" auf den Koppelschlössern. Das ist die eine Religion, die nichts zu tun hat mit dem Neuen Testament, mit dem Christentum Jesu. Das wäre eine ganz andere Religion, die in Amerika auch existiert, die "menschenrechtliche" Religion. Sie dürfen nicht denken, dass Bush Amerika ist. Es ist die Südstaaten-Frömmigkeit, der sogenannte Bibelgürtel im Süden Texas. Es hat nichts mit dem Jesuanischen Christentum zu tun. In uns ist das Böse und das Gute und das kann man nicht aufteilen - das Böse drüben und wir die Guten, nicht, wie in Amerika. Bush ist sozusagen eine Art antichristliche Figur.

Ist bei einem solchen Selbstverständnis einem Dialog der Kulturen bzw. Religionen nicht a priori der Riegel vorgeschoben?

Ja, Sie haben vollkommen recht. Der eigentliche Kampf der Kulturen findet heute statt zwischen dieser amerikanischen Religion, der Nationalreligion, der Erwählungsreligion, dieser texanischen Version und auf der anderen Seite Europa, Deutschland. Wir haben ja nach dem Zweiten Weltkrieg von dem anderen Amerika gelernt, von dieser Menschenreligion. Das hat uns auch befreit, wir haben die Demokratie von diesem anderen Amerika gelernt. Das halten wir jetzt Amerika entgegen. Und im Geist dieses anderen menschenrechtlichen, pazifistischen Amerika haben wir doch mit der Sowjetunion durch die Politik des Wandels, durch Annäherung, eine Versöhnung hergestellt. Die Amerikaner haben das nicht geschafft. Wir sind ihnen weit voraus mit der Erfahrung der Versöhnungsmöglichkeit. Und darin besteht die große Bedrohung der Welt durch Amerika, weil Amerika das noch nicht gelernt hat.

Hat Amerika eigentlich die Anschläge vom 11. September 2001 wirklich verarbeitet, hat man Trauerarbeit geleistet oder sich nicht vielmehr durch politischen Aktionismus und dem Denken in Gut- und Böse-Kategorien abgelenkt und verdrängt?

Amerika ist noch niemals angegriffen worden. Plötzlich kommen nun diese Flugzeuge. Es stellt sich heraus, es sind heruntergekommene arabische Terroristen, in den Augen der Amerikaner wohlgemerkt, also noch nicht einmal ein richtiger großer Staat. Das war eine ungeheure Demütigung Amerikas. Diese Kränkung hat das offizielle Bush-Amerika beantwortet mit Rache. Wir vermuten, dass 12.000 Menschen in Afghanistan schon im Oktober niedergebombt wurden. Zur Trauerarbeit gehört ja, mal zu gucken, was wollten diese Leute eigentlich, indem sie das World Trade Center und das Pentagon bombardierten? Sie wollten ja gerade nicht die Zivilisation auslöschen, das wäre totaler Quatsch. Sie wollten das Zentrum amerikanischer Weltmacht symbolisch treffen. Das Schlimme ist, man hat mit gleicher terroristischer Kälte zurückgeschlagen. Man tut heute so: Gut, die anderen haben keine Menschenrechte, wir müssen sie ausrotten. Das ist doch das Allerschrecklichste, was uns bevorsteht. Die Amerikaner sind Behinderte. Ich sehe Amerika als charakterlich und religiös behindert, also das Bush-Amerika. Das ist eine kranke Politik. Sie ist sehr gefährlich für die Welt, weil sich dahinter eine Sektenmentalität verbirgt.

Hans-Eckehard Bahr ist evangelischer Professor in Bochum, immer in der Friedensforschung tätig gewesen und war in den Sechziger Jahren unter anderem Mitarbeiter von Martin Luther King an der University of Chicago.