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Reisen und Essen in einem Zug

Silke Bartlick1. Januar 1970

Die Bahn wollte sie abschaffen – und scheiterte. Denn Speisewagen sind eine Institution. Die bewegte Geschichte der Gastronomie auf Schienen erzählt nun eine Ausstellung im Berliner Technikmuseum: "Speisen auf Reisen".

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Bahnreisende der DDR bekamen solche 'Feinfrostgerichte' serviertBild: Freunde der MITROPA e. V.

"Pfeilgeschwind, dass einem graust / kommt der Blitzzug angesaust. Für die Kehle und den Magen / sorgt Mitropa-Speisewagen." Diesen Kinderreim hat Alfred Gottwald in einem Kinderbuch aus dem Jahr 1936 gefunden. Seit Jahren sammelt der passionierte Eisenbahnliebhaber und Leiter der Abteilung Schienenverkehr im Deutschen Technik-Museum alles rund ums Thema "Speisen auf Reisen". Schätze aus eigenen Pfründen, gepaart mit Trophäen aus den üppigen Beständen des Technik-Museums, machen nun Appetit auf ein bislang vernachlässigtes Kapitel der Eisenbahngeschichte.

Am Anfang war das Butterbrot

"Es geht eigentlich um Veränderungen, um Prozesse in der Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts", sagt Gottwald. "Und das kann man am deutlichsten daran sehen, dass noch bis vor dem Zweiten Weltkrieg in jedem Speisewagen fünf oder sogar sechs Personen gearbeitet haben." Heute würden meistens nur noch zwei oder höchstens drei Personen in den Bordrestaurants der Intercity-Züge arbeiten.

Speisen auf Reisen
'Die schöne Eisenbahnreise': Das Titelmotiv der Ausstellung ist 1935 von Bernd Reuters entworfen worden.Bild: Bernd Reuters, (DTMB)

Die ersten Eisenbahnreisenden mussten während der langen Fahrten noch hungern, wenn sie sich nicht kalten Braten, Brote oder wenigstens etwas Obst eingepackt hatten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das zahlungskräftige Publikum dann Gelegenheit, während der halbstündigen Fahrtpausen, in denen die Wasservorräte der Lokomotiven aufgefüllt wurden, in den Wirtschaften neu errichteter Bahnhöfe ein Menü einzunehmen.

1880: Europas erster Speisewagen

Doch das hatten die Bahnfahrer irgendwann satt, erzählt Anja Steinhorst, die Kuratorin der Ausstellung: "Es hat dann, zunächst in Amerika, später auch in Großbritannien, eben doch diese Idee gegeben, Speisewagen einzurichten. Auf dem europäischen Kontinent ist dann 1880 der erste Speisewagen von einer belgisch-französischen Gesellschaft, der Compagnie International de Wagon Lit, betrieben worden."

Speisen auf Reisen
Porzellan statt Pappe: Mitropa-TassenBild: Clemens Kirchner, DTMB

1916 wurde schließlich die Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisegesellschaft, kurz Mitropa, gegründet. In ihren eleganten Speisewagen konnten wohlhabende Reisende zwischen Gerichten à la carte und täglich wechselnden, frisch zubereiteten Menüs wählen. Dass Kartoffeln und Gemüse ungefragt nachgereicht wurden, war seinerzeit ebenso selbstverständlich wie weiße Tischtücher, verziertes Porzellan und silbernes Tischgerät.

Wie sämtliche Lebensmittel, Tischwäsche und Geschirr in einer nur zehn Quadratmeter kleinen Küche verstaut wurden, erzählt die Ausstellung; sie zeigt Küchenmädchen, Silberputzer und Oberkellner bei der Arbeit, präsentiert Speisekarten und Geschirr. Und sie lässt weder die Diskriminierung jüdischer Reisender während des Dritten Reiches aus noch Versorgungsengpässe zu Kriegszeiten oder die unterschiedliche Entwicklung der Bordrestaurants in Ost- und Westdeutschland.

Promi-Köche entwickeln für die Mikrowelle

Am 1. Januar 1994 wurden auch die west- und ostdeutschen Speisewagengesellschaften wiedervereinigt. In den Bordrestaurants der deutschen ICEs serviert heute in wenigen Tagen angelerntes Personal in der Mikrowelle erwärmtes, vorgekochtes Essen. Auf schlichtem Porzellan, und Kaffee und Softgetränke gibt es auch in Pappbechern.

ICE-3 Hochgeschwindigkeitszug
Im Intercity-Express gibt's schnelles Essen, entwickelt von Starköchen - und weniger Speisewagen-Personal als früherBild: AP

Neuerdings entwickeln freilich auch prominente Köche schmackhafte Gerichte für die fahrenden Restaurants. Denn bei der Bahn hat man eingesehen: Speisen auf Reisen, oft gepaart mit einer flüchtigen Bekanntschaft, das ist immer noch etwas Besonderes.