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Reifezeugnis für Mazedonien

6. Juli 2006

Die Parlamentswahlen galten als Test für die EU- und NATO-Tauglichkeit Mazedoniens. Brüssel sollte ein vitales Interesse an der weiteren Stabilisierung des Balkanstaates haben, meint Verica Spasovska.

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Bei den Parlamentswahlen in Mazedonien ist überraschend deutlich das bisher oppositionelle Mitte-Rechts-Bündnis von Nikola Gruevski als Sieger hervorgegangen. Allerdings verfehlte es die Mehrheit, muss also voraussichtlich mit einer der konkurrierenden Albaner-Parteien eine Koalition bilden. Die Sozialdemokraten von Regierungschef Vlado Buckovski erlitten herbe Verluste. Die Wahl und den sich abzeichnenden Regierungswechsel kommentiert Verica Spasovska.

Entgegen aller Befürchtungen sind die Parlamentswahlen in Mazedonien friedlich und im Großen und Ganzen fair verlaufen. Das ist - vor allem nach den gewaltsamen Ausschreitungen während des Wahlkampfes - eine gute und ermutigende Nachricht aus dem krisengeschüttelten Balkanland. Die Drohungen von EU und NATO, anderenfalls Mazedoniens Weg in die euro-atlanischen Strukturen erheblich zu erschweren, haben zweifellos Wirkung gezeigt. Denn trotz aller politischen Unterschiede ist allen Parteien des Landes das Ziel gemeinsam, Mazedonien möglichst schnell in die EU und die NATO zu führen. Mit diesen Wahlen hat sich Mazedonien hierfür ein Reifezeugnis ausgestellt.

Enttäuschte Menschen

Die gute Nachricht kann jedoch nicht über die zunehmende Politikverdrossenheit der Wähler hinweg täuschen. Nur rund 60 Prozent Wahlbeteiligung - das ist eine Ohrfeige für die politische Klasse des Landes, die hohe Erwartungen weckt, ohne sie fühlbar für die breite Bevölkerung einzulösen.

Dass das regierende Mitte-Links-Bündnis nun weit deutlicher als erwartet von den Wählern einen Denkzettel erhielt, zeigt, wie groß die Enttäuschung der Menschen über die schlechte Wirtschaftslage des Landes ist. Die Zusage, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen und allen zu mehr Wohlstand zu verhelfen, hatte das Mitte-Links-Bündnis unter Ministerpräsident Vlado Buckovski nicht eingelöst. Die Schere zwischen einer zunehmend ärmer werdenden Bevölkerung und einer kleinen Klasse von Priviligierten wird stattdessen immer größer.

Vor diesem Hintergrund konnte Buckovski auch nicht mit seinem Wohlverhalten gegenüber der internationalen Gemeinschaft punkten, das er bei der der Umsetzung des Ohrider Friedensabkommens an den Tag legte. Fünf Jahre nach der großen Krise in Mazedonien, die das Land an den Rand des Bürgerkrieges brachte, erfährt die albanische Minderheit in vielen Bereichen mehr Gleichberechtigung als je zuvor. Aber diese Tatsache wiegt aus der Sicht der mazedonischen Wähler weit weniger als der Umstand, dass es ihnen heute wirtschaftlich schlechter geht als zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit vor fünfzehn Jahren.

Mit dem bisherigen Oppositionsführer Nikola Gruevski verbinden viele Wähler nun die Hoffnung, dass der ehemalige Finanzminister die am Boden liegende Wirtschaft in Schwung bringt. Viel stärker als die bisherige Regierung unterstützt Gruevski die kleinen und mittleren Unternehmen und hat der grassierenden Wirtschaftskriminalität den Kampf angesagt.

EU-Perspektive notwendig

EU und NATO sollten den Wahlverlauf als klares Signal werten, die Reform-Bestrebungen des Landes zu würdigen und Mazedonien den Weg in die euroatlantischen Strukturen weiter zu ebnen. Bei allen Ermüdungserscheinungen hinsichtlich der EU-Erweiterung, die sich zurzeit innerhalb der EU zeigen, braucht das Land - ebenso wie die anderen Staaten des westlichen Balkans - eine klare Perspektive auf einen EU-Beitritt. Denn nur dann - so zeigen es zurzeit die Entwicklungen der EU-Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien - kann die EU ausreichend Druck auf dringend notwendige Reformen ausüben. Reformen, die nicht nur verkrustete Strukturen in Wirtschaft und Justiz aufbrechen müssen, sondern maßgeblich dazu beitragen können, das schwierige Verhältnis zwischen der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung und der albanischen Minderheit zu entspannen.

Angesichts der Fliehkräfte in der Nachbarschaft, die sich in der Abspaltung Montenegros und den Unabhängigkeitsbestrebungen des Kosovo manifestieren, sollte die EU ein vitales Interesse an der weiteren Stabilisierung Mazedoniens haben. Das geht jedoch nicht, wenn sie die Bürger des Landes bis zum Sankt Nimmerleinstag vertröstet.

Verica Spasovska
DW-RADIO/Mittel- und Südosteuropa, 6.7.2006, Fokus Ost-Südost