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Reichtum garantiert keinen Wohlstand

Mirjam Gehrke29. Januar 2013

Wirtschaftlicher Erfolg gilt in westlichen Ländern als Zeichen von Wohlstand. In vielen Ländern wird diese Sichtweise zunehmend hinterfragt. Alternative Denkansätze setzen auf kulturelle, soziale und ökologische Werte.

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Chinesische Wanderarbeiter fahren auf dem Fahrrad an einem am Straßenrand geparkten Luxusauto vorbei (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung und das Wirtschaftswachstum sind in der Regel die Indikatoren, die herangezogen werden, um die Leistungsfähigkeit und den Wohlstand eines Landes zu messen. Wachstum gleich Wohlstand lautet, etwas verkürzt, die Grundannahme; und wem es wirtschaftlich gut geht, der ist auch zufrieden, so die Schlussfolgerung.

Doch schon vor vierzig Jahren warnte der Club of Rome in seinem Bericht "Die Grenzen des Wachstums", dass eine allein auf Ausbeutung von Rohstoffen basierende Wirtschaft bei stetig steigender Weltbevölkerung zur Folge hat, dass die Lebensgrundlagen zerstört werden. Im Jahr 1987 tauchte dann erstmals der Begriff der Nachhaltigkeit in der internationalen Entwicklungsdebatte auf - im Abschlussbericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Dort hieß es: Nachhaltig könne Entwicklung nur sein, wenn sie "die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können."

Entwicklung im Einklang mit der Natur, und nicht auf ihre Kosten

Unter anderem auf Nachhaltigkeit zielt das Konzept des "Buen Vivir", des "Guten Lebens", das die südamerikanischen Staaten Ecuador und Bolivien 2008 und 2009 in ihre Verfassungen aufgenommen haben. Dahinter steht die Idee, traditionelles Wissen und Erfahrungen der indigenen Bevölkerung wiederzubeleben - als Gegenentwurf zum westlichen Kapitalismus, der als koloniales Erbe empfunden und für die tiefe soziale Spaltung innerhalb der Gesellschaften beider Länder verantwortlich gemacht wird.

"Buen Vivir" zielt nicht länger darauf, Unterentwicklung durch wirtschaftlichen Fortschritt zu überwinden. Vielmehr steht der soziale Fortschritt im Mittelpunkt. Dazu gehört die Bewahrung von kultureller Identität und überliefertem Wissen ebenso wie der Zugang zu Bildung. Wohlstand wird nicht durch materielles Wachstum und Konsum definiert, sondern als Entwicklung im Einklang mit der Natur.

Eine Gruppe von Waorani-Indianern in Ecuador (Foto: AP)
"Buen vivir" - Zum Schutz des Lebensraums der Waorani im Yasuní-Nationalparkt in Ecuador sollen Ölvorkommen nicht gefördert werdenBild: AP

Die gesellschaftliche und ökonomische Wirklichkeit in beiden Ländern ist allerdings noch weit von diesem Selbstbild entfernt. Aber das "Buen Vivir" sollte als road map zur gesellschaftlichen Umgestaltung verstanden werden. Ein erster konkreter Schritt ist die Yasuní-ITT-Initiative, die vorsieht, die Ölreserven im ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark nicht zu fördern. Stattdessen sollen die biologische Vielfalt des Amazonas-Urwalds erhalten und die lokale Bevölkerung geschützt werden. Als Gegenleistung erwartet Ecuador von der internationalen Gemeinschaft eine Entschädigung für die Hälfte der entgangenen Einnahmen.

Afrika setzt auf Menschlichkeit

Ein Zeitungsausschnitt mit einem Foto von Nelson Mandel vor einer südafrikanischen Fahne (Foto: Reuters)
Nelson Mandela setzte sich für Ubunto als gesellschaftliche Grundlage für Südafrika einBild: Ullstein/Reuters

Das Konzept des "Buen Vivir" ist eng mit der indigenen Tradition der beiden Andenländer verknüpft und daher nicht ohne weiteres auf andere Staaten übertragbar. Doch die Überzeugung, dass der Mensch Teil eines Ganzen ist und Solidarität, Respekt und menschliche Würde der Maßstab für politisches und wirtschaftlich Handeln sein sollten, findet sich auch im Konzept des Ubuntu aus Südafrika. Der Begriff Ubuntu stammt aus den Bantusprachen Zulu und Xhoss und bedeutet übersetzt so viel wie "Menschlichkeit". Unter anderem Namen existiert die Idee von Ubuntu aber auch in vielen anderen afrikanischen Ländern.

In Südafrika erhob nach dem Ende der Apartheid Präsident Nelson Mandela Ubuntu zur Maxime politischen Handelns: Menschlichkeit und Gemeinsinn sollten die Wertegrundlage für den neuen Staat bilden. Im politischen Alltag geriet das Konzept zwar wieder in Vergessenheit. Doch der Ubuntu Education Fund setzt sich weiterhin für die Ideale ein, indem er Gesundheits- und Bildungsprojekte unterstützt, die mit den entsprechenden Prinzipien arbeiten.

Glück als Staatsziel

Als buddhistische Anti-These zum westlichen Streben nach Profit und Gewinnmaximierung formulierte der damalige König von Bhutan Jigme Singye Wangchuck bereits 1972 die Idee des "Bruttonationalglücks", das wichtiger sei als die wirtschaftliche Leistung des Landes. Von vier Säulen soll das Glück getragen werden: Schutz der Umwelt, Bewahrung der kulturellen Werte, eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die alle einschließt, und eine gute Regierung.

Konsequent versucht das Königreich im Himalaya, die Idee des "Bruttonationalglücks" umzusetzen: Gesundheit und Bildung sind kostenlos, mehr als 30 Prozent des Staatshaushaltes fließen in Sozialausgaben. Die Wälder, die mehr als 70 Prozent der Landesfläche bedecken, stehen unter Naturschutz. Jede öffentliche Investition und jedes Gesetzesvorhaben wird von einer eigens dafür eingesetzten Kommission überprüft. Wenn die Vorhaben nicht in Einklang mit dem Glücksziel stehen, müssen sie im Parlament neu diskutiert und überarbeitet werden.

Durch Befragungen erfasst das Center for Bhutan Studies, das den Rang eines Ministeriums hat, regelmäßig das Glück der Bevölkerung. Gefragt wird dabei nach Einkommen und Sicherheit am Arbeitsplatz, Zugang zu Bildung und Gesundheit und dem Zustand der Umwelt sowie nach dem psychischen Wohlbefinden und der Verfügbarkeit von Zeit. Zuletzt bezeichneten sich 52 Prozent der Bevölkerung als "glücklich", 45 Prozent sogar als "sehr glücklich". Nur drei von hundert Bhutanern geben an, "nicht so glücklich" zu sein.

Globale Wohlstandsindikatoren

Gemeinsam ist den genannten Ansätzen die Überzeugung, dass stabile und funktionierende soziale Strukturen, das Bewusstsein und Wissen um die eigene kulturelle Identität sowie eine intakte Natur unerlässlich sind für eine gute Lebensqualität. Gemeinsam ist den Konzepten auch, dass sie stark in den Traditionen und Religionen ihrer jeweiligen Länder verwurzelt sind - und somit nur sehr eingeschränkt auf andere Länder zu übertragen.

Um das Wohlergehen von Menschen in verschiedenen Ländern und Kulturen vergleichbar zu machen, haben die Vereinten Nationen den sogenannten Human Development Index (HDI) entwickelt. In dem seit 1990 jährlich veröffentlichten Bericht wird nicht nur das Pro-Kopf-Einkommen berücksichtigt, sondern auch die Lebenserwartung bei Geburt sowie der Bildungsgrad. Die Lebenserwartung lässt Rückschlüsse zu auf die allgemeine Gesundheitsversorgung, die Hygienstandards und die Ernährungssituation. Mit dem Faktor Bildung soll unter anderem Lebensstandard und Teilhabe an der Gesellschaft abgebildet werden.

Angeführt wird die Liste, wenig überraschend, von westlichen Industrienationen mit besonderer sozialstaatlich Ausrichtung: Norwegen, Australien und den Niederlanden. Die USA liegen auf Platz 4, Deutschland auf Rang 9. Die letzten 15 der 187 bewerteten Länder sind Staaten aus Subsahara-Afrika. Kritisiert wird am HDI vor allem, dass ökologische Faktoren nicht berücksichtigt werden.

Zufriedenheit zu welchem Preis?

Hier setzt der Happy Planet Index (HPI) an. In das von der unabhängigen britischen Denkfabrik New Economics Foundation vor sieben Jahren zum ersten Mal erstellte Ranking fließen neben der statistischen Lebenserwartung auch die Lebenszufriedenheit der Bürger sowie ihr ökologischer Fußabdruck mit ein. Dabei wird unter anderem gefragt, wie viele natürliche Ressourcen pro Kopf verbraucht werden, um den jeweiligen Lebensstandard zu erreichen.

Auf Platz eins in dieser Rangliste lag 2012 Costa Rica, gefolgt von Vietnam. Deutschland rangiert hier auf Platz 46, die USA landen an 105. Stelle, weit hinter Kirgisistan (Platz 61) oder Bangladesch (Platz 31). Daraus zu schließen, dass US-Bürger weniger glücklich wären als Kirgisen oder Bangladeschis wäre jedoch ein Trugschluss. Der HPI sagt lediglich aus, dass US-Amerikaner ihre Lebenszufriedenheit mit dem überdurchschnittlichen Verbrauch von Ressourcen erkaufen.