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"Die Türkei ist ein Gefängnis für Journalisten"

Felix Schlagwein
24. Juli 2017

Die Prozesse gegen Journalisten in der Türkei seien absurd, meint Regula Venske, Präsidentin des deutschen PEN-Zentrums, im DW-Interview. Man müsse Menschenrechtsverletzungen weiterhin anprangern, mahnt sie.

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Regula Venske, neue PEN-Präsidentin
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

DW: In Ihrem Offenen Brief an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seinen Regierungschef Binali Yıldırım finden Sie harsche Worte. Was erhoffen Sie sich von Ihrem Schreiben?

Regula Venske: Ich hoffe zunächst einmal, dass möglichst viele Menschen den Brief lesen und dass die Zahlen, die man nicht oft genug wiederholen kann, verinnerlicht werden. Mein Brief soll dem Leser vor Augen führen, wie viele Menschen inzwischen in der Türkei entlassen worden sind, wie viele zum Teil unter absurden Anklagen verhaftet worden sind, wie viele Journalisten in Haft sitzen. Die Türkei ist mittlerweile zum weltweit größten Gefängnis für Journalisten geworden. Diese Dinge kann man nicht oft genug wiederholen. Außerdem habe ich mir beim Schreiben des Briefes erhofft, dass ich meine eigene Empörung, vielleicht auch die Angst um die in der Türkei inhaftierten und angeklagten Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck bringen kann. Ich würde mir natürlich wünschen, dass die angesprochenen Politiker meinen Brief lesen und selbstkritisch in sich gehen. Aber diese Hoffnung ist nicht sehr groß.

Heute, am Tag der Pressefreiheit in der Türkei, beginnt der Prozess gegen 17 Mitarbeiter der Zeitung "Cumhuriyet", die wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft sitzen. Ist das nicht zynisch?

Ja, das ist zynisch, denn es ist ja eigentlich ein Datum, das man in der Türkei feiern müsste. 1908 wurde an diesem Tag die Zensur abgeschafft. Bereits seit 1924 gibt es die Zeitung "Cumhuriyet". Sie hat seitdem mehrere Putschversuche überstanden und auch unter Militärregimen ihre Arbeit fortgesetzt. In ihrer Geschichte sind viele ihrer Journalisten inhaftiert, gefoltert oder gar ermordet worden. Aber einen solchen Angriff auf diese Zeitung, die ja das Wort "Republik" in ihrem Titel trägt, hat es bisher noch nie gegeben. Der ehemalige Chefredakteur Can Dündar ist mittlerweile in Deutschland im Exil und meldet sich hier sehr mutig und kritisch zu Wort. Die Vorwürfe gegen die inhaftierten "Cumhuriyet"-Mitarbeiter sind schlicht absurd. Man wirft ihnen beispielsweise Kontakte zur Gülen-Bewegung vor. Noch vor einigen Jahren wurden sie angeklagt, weil sie kritisch über Fethullah Gülen berichtet haben.

Türkei Cumhuriyet Journalists In Terror Trial - Istanbul
Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul, in dem am Montag (24.07.2017) der Prozess gegen 17 "Cumhuriyet"-Mitarbeiter beginntBild: picture alliance/dpa/abaca/C. Erok

Auch deutsche Staatsbürger, wie etwa der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner, wurden in der Türkei verhaftet. Außenminister Sigmar Gabriel hat daraufhin einen härteren Kurs gegen die Regierung in Ankara angekündigt. Was konkret kann die Bundesregierung tun, um in der Türkei Menschenrechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen?

Ich denke, dass es richtig ist, dass man nun einige Abkommen hinterfragt, allen voran den zynisch anmutenden Deal in der Flüchtlingsthematik. Mittlerweile haben rund 145.000 Menschen unsere Petition #FreeWordsTurkey unterzeichnet, die wir zusammen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und Reporter ohne Grenzen gestartet haben. Natürlich müssen sich die Politiker fragen, was sie selbst machen können. Und wir Schriftsteller und Journalisten müssen uns fragen, was wir machen können. Unsere Methode ist das Wort. Wir dürfen nicht müde werden, weiterhin zu berichten und zu kritisieren.

In Ihrem Brief kritisieren Sie Erdoğan dafür, nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland eine Politik der Spaltung zu betreiben. Inwiefern bedroht der türkische Präsident die deutsch-türkischen Beziehungen innerhalb unserer Gesellschaft?

Erdoğan provoziert mit spalterischer Rhetorik, und damit erweist er unseren türkischstämmigen Mitbürgern keinen guten Dienst. Uns geht es doch darum, dass wir friedlich zusammenleben können, verschiedene Meinungen haben dürfen und sogar unterschiedliche Parteien wählen können. Meinungsverschiedenheiten gehören eben zu einer Demokratie dazu, aber man muss seinen politischen Gegnern auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen, was Erdoğan allerdings in seinen Reden sehr vermissen lässt. Seine jüngsten Reden waren sehr martialisch, mit Metaphern und Bildern, die ich als menschenfeindlich empfinde.

Wir setzen uns im deutschen und internationalen PEN für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern und Nationen, Ethnien und Religionen ein. Der türkische Präsident macht das Gegenteil. Alles, was von seiner Linie abweicht, soll mundtot gemacht werden.

Glauben Sie tatsächlich, dass "Wahrheit und Gerechtigkeit am Ende doch siegen" werden, wie Sie es am Ende Ihres Briefes formulieren?

Wenn ich mir die Menschheitsgeschichte angucke, sehe ich viel Barbarei. Schreckliche Kriege, Folter, Mord und Totschlag. Aber ich sehe auch das Streben und die Hoffnung der Menschen auf Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Mitmenschlichkeit und Liebe. Ich glaube, das ist nicht unterzukriegen, auch wenn die Herrschenden schon seit biblischen Zeiten bemüht sind, dagegen anzukämpfen. Das Beste und Schönste, was die Menschheit hervorgebracht hat, ist genau das: die Liebe zur Freiheit, zur Kultur, zu einem friedlichen Zusammenleben.

Regula Venske ist freie Schriftstellerin und Moderatorin. Seit April 2017 ist sie Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland. Mit ihr sprach Felix Schlagwein.