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Politik

Rutte, die dritte

10. Oktober 2017

Zwei liberale und zwei christliche Parteien bilden die neue niederländische Koalitionsregierung unter Mark Rutte. Sieben Monate hat er dafür verhandelt.

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Niederlande | Rutte | Neue Koalition verspricht Wohlstand für alle
Bild: imago/Xinhua/R. Nederstigt

Ganz so lange wie in Belgien, das 2010/2011 rund anderthalb Jahre ohne Regierung war, hat es in den Niederlanden dann doch nicht gedauert. Aber der bisherige niederländische Rekord von 1977 wurde knapp geschlagen. Mehr als 200 Tage nach der Wahl im März gibt es nun eine Koalitionsvereinbarung. Zum dritten Mal wird damit Mark Rutte Ministerpräsident. Seine jüngste Koalition besteht aus vier Parteien: Ruttes liberale, wirtschaftsfreundliche VVD hat im neuen Parlament 33 Sitze, weit entfernt von der notwendigen Mehrheit von 76. Mit ins Boot holt er sich die linksliberale D66, die christdemokratische CDA und die in Moralfragen äußerst konservative Christenunion. Zusammen haben sie nur eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz in der 150 Sitze umfassenden Kammer.

"Alle Parteien waren in letzter Minute noch mit Wünschen gekommen", sagte Rutte am Dienstag, "aber der Regierungspakt ist nun endgültig fertig." Die Viererkoalition will möglichst allen etwas bieten. D66-Chef Alexander Pechthold freut sich zum Beispiel über Steuererleichterungen: "Wir kommen aus der Krise heraus, daher können wir investieren und Steuern senken." Die Einkommenssteuern sollen um 5,5 Milliarden Euro sinken, auch die Unternehmenssteuern gehen etwas nach unten, Familien sollen mehr finanziell gefördert werden. Andererseits soll es höhere Umweltsteuern geben, und die steuerliche Abzugsfähigkeit von Hausdarlehen, die in den Niederlanden traditionell eine große Rolle spielt, soll eingeschränkt werden. Schließlich darf sich das Militär über eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben von 1,5 Milliarden Euro freuen.

Schwierige Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden Mark Rutte
Die Verhandlungen mit Jesse Klaver (l.) von den Grünen waren im Sommer gescheitertBild: Getty Images/AFP/J. Lampen

Wilders wartet schon

Gert-Jan Segers, der Vorsitzende der Christenunion mit ihren nur fünf Sitzen, gab zu, die Verhandlungen für den Koalitionsvertrag seien schwierig gewesen. "Nicht alles darin ist gut, aber wir als Christenunion können mehrere Punkte klar erkennen, mit denen ich sehr zufrieden bin." Tatsächlich liegen zwischen der calvinistisch geprägten Christenunion und der linksliberalen D66 in einigen Bereichen Welten. Die D66 ist zum Beispiel dafür, dass jeder Mensch, nicht nur, wenn er unheilbar krank ist, Sterbehilfe in Anspruch nehmen darf; die Partei unterstützt außerdem die Rechte von Homo-, Bi- und Transsexuellen und ist für ein liberales Abtreibungsrecht. Für die bibeltreue Christenunion sind solche Dinge beinahe Sodom und Gomorra.

Markus Wilp, Politikwissenschaftler vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster, sieht das Auffallende der Regierungskonstellation darin, dass die Parteien aus so unterschiedlichen Ecken kommen. "Das ist kein Wunschbündnis für diese Parteien, und die Kompromisse haben Schmerzen bereitet." Doch nachdem Verhandlungen mit den Grünen gescheitert waren und die Sozialdemokraten in die Opposition gingen, habe es keine Alternative gegeben. "Es gab also Druck auf die Unterhändler, dass die Verhandlungen erfolgreich verlaufen sollten."

Slowenien Dobova Flüchtlinge Balkanroute Menschenmenge
Angesichts einer einwanderungskritischen Öffentlichkeit rückt die niederländische Regierung nach rechtsBild: Reuters/S. Zivulovic

Beim wichtigen Thema Migration haben die Koalitionäre beschlossen, die finanziellen Zuwendungen für Asylbewerber in den ersten zwei Jahren ihres Aufenthaltes in den Niederlanden zu begrenzen. Andererseits sollen mehrere hundert Flüchtlinge mehr als bisher pro Jahr einreisen dürfen, eine bescheidene, aber verständliche Zahl. Denn bei diesem Thema sitzen der Regierung die Wähler des Rechtspopulisten Geert Wilders im Nacken, dessen Partei für die Freiheit bei der Wahl zweitstärkste Kraft wurde. Markus Wilp erwartet, dass Wilders nicht nachlassen wird, die Regierung vor sich herzutreiben: "Wilders wird viel Druck auf die Parteien ausüben und sie mit Aussagen von vor der Wahl konfrontieren. Er ist in einer komfortablen Position und wird in den nächsten Jahren all die Schmerzen, die diese Parteien bei ihren Kompromissen hatten, noch vergrößern." Möglicherweise ist es auch eine Geste an die Wilders-Wähler, dass die Koalition festgelegt hat, in Zukunft sollten alle Schulkinder in den Niederlanden die Nationalhymne auswendig kennen.

Der Abstieg der Volksparteien

Insgesamt dürfte die Regierung wegen ihrer dünnen Mehrheit und ihrer teils großen inneren Widersprüche ein schwaches Bündnis werden. Mit den Sozialdemokraten hatte es Rutte früher leichter. Doch nach dramatischen Wahlverlusten - sie waren von 25 auf ganze 6 Prozent abgestürzt - wollten sie in die Opposition gehen. Markus Wilp sagt, Vierparteienkoalitionen seien in den Niederlanden "sehr ungewöhnlich, eine solche hat es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben." Durch die zersplitterte Parteienlandschaft ergebe sich aber die Notwendigkeit einer solchen Koalition. "Die selbstverständlichen Regierungsbündnisse von früher, beispielsweise zwischen Christdemokraten und Liberalen, haben heute schlichtweg keine Mehrheit mehr im Parlament."

Niederlande Wahlplakate
Zersplitterte Parteienlandschaft: Plakate von der Wahl im MärzBild: Reuters/M. Kooren

Eine Zusammenarbeit mit Wilders‘ Partei für die Freiheit lehnte Rutte ab. Er ist ein gebranntes Kind. 2010 hatte er seine Minderheitsregierung aus VVD und CDA von Wilders tolerieren lassen, bis Wilders ihm schließlich wegen eines Sparpakets die Unterstützung entzog, was zu Neuwahlen führte. Der alte und neue Ministerpräsident hat jedenfalls Erfahrung im Aushandeln und Führen von Koalitionsregierungen. Dies ist nun seine dritte, und keine war einfach. Schon nach der Wahl von 2012 hatte er 54 Tage gebraucht, um eine Regierung zu bilden. Diesmal also der neue Rekord von 208 Tagen.

     

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik