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Regierung Kirchner unter Beschuss

Jan D. Walter17. Januar 2015

Zehn Monate vor den Präsidentenwahlen in Argentinien fordert die Justiz Erklärungen von Amtsinhaberin Kirchner. Der Vorwurf der Verschleierung eines Attentats von 1994 ist aber wohl ihre geringste Sorge.

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Cristina Fernandez de Kirchner bei einem öffentlichen Auftritt im November 2014 (Foto: APF)
Bild: Getty Images/Juan Maromata

Cristina Kirchner sei bester Dinge, versicherte deren Generalsekretär Aníbal Fernández am Freitag (16.01.2014) der argentinischen Presse, nach einem Termin der Präsidentin mit der Weinbau-Lobby.

Offenbar war auch ihm aufgefallen, wie ungewohnt lakonisch die sonst so aufbrausende Staatspräsidentin auf die schweren Vorwürfe des Staatsanwalts Alberto Nisman reagiert hatte: Am Mittwoch (14.01.2014) hatte Nisman einen Untersuchungsantrag gestellt: Kirchner soll die Ermittlungen des schwersten Attentats der Landesgeschichte behindern.

Die Präsidentin, die derzeit in der präsidialen Residenz einen gebrochenen Knöchel auskuriert, twitterte nur: "AMIA, ein weiteres Mal ohne Justiz und Wahrheit."

Ermittlungen wieder abgebrochen?

Am 18. Juli 1994 waren 85 Menschen gestorben, als eine Bombenexplosion das Gebäude der jüdischen AMIA-Gemeinde in Buenos Aires zerstörte. Die Urheber des Attentats sollen der Hisbollah angehören und werden unter anderem im Iran vermutet. Trotz internationaler Haftbefehle ist es jedoch nie zu einer Anklage gekommen, weil der Iran die mutmaßlichen Täter nicht ausliefern will.

Anfang 2013 nahm Argentinien die Ermittlungen wieder auf und unterzeichnete ein Aufklärungs-Abkommen mit dem Iran. Argentiniens jüdisch-stämmiger Außenminister Héctor Timerman bejubelte den Vorstoß. David Harris, Vorsitzender des Amerikanischen Jüdischen Komitees AJC, spottete: "Eine Wahrheitskommission mit Iran zum AMIA-Anschlag ist so, als hätte man das Nazi-Regime ersucht, die Reichskristallnacht aufzuarbeiten."

Nun wirft Staatsanwalt Nisman Präsidentin Kirchner und Außenminister Timerman vor, sie hätten Anweisungen gegeben, das Abkommen aufzukündigen, um Öllieferungen aus dem Iran zu erhalten.

Nur eine weitere Baustelle

Beide Politiker weisen die Vorwürfe weit von sich. Timerman beschimpfte Nisman als Lügner - und aus dem Präsidentenpalast hieß es, es handele sich um interne Auseinandersetzungen im Justizapparat. Uneinigkeit zwischen dem zuständigen Richter und Staatsanwalt Nisman besteht tatsächlich. Und es wäre nicht das erste Mal, dass die argentinische Justiz - berechtigt oder nicht - im Verdacht stünde, sich politisch zu betätigen, indem sie zweifelhafte Vorwürfe gegen unliebsame Personen erhebt.

Argentinien Hector Timerman Anschlag auf AMIA in Buenos Aires
In der Kritik: der jüdisch-stämmige Außenminister TimermanBild: picture-alliance/dpa/Javier Brusco

"Wie fundiert die Vorwürfe sind, ist derzeit schwer zu sagen", kommentiert Mariana Llanos vom Hamburger GIGA-Institut die Situation: "Sicher ist nur, dass Justiz und Politik derzeit auf Konfrontationskurs gehen." In den vergangenen Monaten häuften sich die Ermittlungen in Korruptionsfällen gegen Personen im Umfeld von Cristina Kirchner.

Das Ende der Ära Kirchner

Das allerdings ist für die Präsidentin nichts Neues: In weit mehr als 100 Fällen wurden ihr und ihrem verstorbenen Ehemann und Amtsvorgänger Nestor Kirchner bisher unter anderem persönliche Bereicherung, Geldwäsche und Vetternwirtschaft zur Last gelegt.

Es passt also ins Bild, dass Generalsekretär Fernández erklärte: "Es lohnt nicht, sich wegen solch einem Unfug zu sorgen." Und wirklich, Kirchner hat derzeit wohl drängendere Probleme: Die argentinische Wirtschaft kommt aus ihrer Abwärtsspirale nicht heraus. Nun gefährden die taumelnden Rohstoffpreise auch noch die Landwirtschaft, den letzten Devisenlieferanten: Argentiniens wichtigstes Exportgut Soja hat seit April 30 Prozent seines Wertes verloren. Und auch aus der Staatspleite von 2001/2002 könnten weiterhin hohe Kosten auf den Staat kommen.

Gedenkveranstaltung zum 17. Jahrestag des Amia-Anschlags.
Gedenken an den Anschlag auf Amia in Buenos Aires: Cristina Kirchner am 17. Jahrestag im Juli 2011Bild: picture-alliance/dpa/Presidencia

Und dann stehen auch noch Präsidentschaftswahlen an. Eigentlich wollte Cristina Kirchner längst die Verfassung geändert haben, um im Oktober zum dritten Mal kandidieren zu dürfen. Doch die Ergebnisse der letzten Parlamentswahlen begruben diesen Traum. Und ein Nachfolger, über den sie weiterhin Macht ausüben könnte, ist auch nicht in Sicht.

Ob sie zu einer weiteren Amtszeit gesundheitlich überhaupt in der Lage wäre, ist allerdings fraglich: Nach einem gutartigen Schilddrüsenkrebs 2012, einem erfolgreich entfernten Hirntumor 2013 haben die Ärzte im vergangenen Jahr unter anderem eine Schleimbeutelentzündung im Oberschenkel und zwei Halsentzündungen diagnostiziert. Nun laboriert Kirchner bereits an der zweiten Knöchelverletzung in einem Jahr. Gegenwind kommt zudem auch aus der eigenen Partei: Inzwischen wenden sich selbst treue Anhänger von der Staatspräsidentin ab.