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Nordkorea Reformen

Martin Fritz25. März 2013

Nordkoreas junger Führer Kim Jong Un will die Planwirtschaft umbauen. Dabei geht es ihm weniger um mehr Wohlstand für die Bevölkerung. Im Vordergrund steht die Absicherung seiner Macht.

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Bild: picture-alliance/AP

Zwei Drittel der 24 Millionen Nordkoreaner leiden nach UN-Angaben unter einer unsicheren Lebensmittelversorgung, mehrere Millionen hängen von Hilfslieferungen aus dem Ausland ab. Gleichzeitig feierten Zehntausende in der Hauptstadt die Atom- und Raketentests von Führer Kim Jong Un. Und die Regierung droht mit nuklearen Angriffen auf die USA. Diese Diskrepanz zwischen ökonomischem Versagen und Großmachtgehabe beweist, wie notwendig Wirtschaftsreformen in Asiens Armenhaus sind. Den Leistungsdruck spürt auch der neue Führer Kim Jong Un.

Zu Neujahr versprach der 30-Jährige den Aufstieg zur ökonomischen "Supermacht". Das Vorzeigeprojekt für den Wandel ist die Sanierung des Rygyong-Hotels in Pjöngjang. Zwei Jahrzehnte lang hatte seine 330 Meter hohe Bauruine die Silhouette der Hauptstadt verschandelt. Nun sind die verwitterten Betonrippen und gähnenden Fensterhöhlen hinter funkelndem Spiegelglas verschwunden. Die Sanierung des Rohbaus hat die ägyptische Orascom bezahlt, die dafür 2008 das Handy-Monopol für Nordkorea mit heute 1,8 Millionen Nutzern bekam.

Devisen gehen ans Regime

Als Folge dieser Öffnung sieht das Magazin "The Economist" die korrumpierende Wirkung des Geldes am Werk, der Drang zum Kapitalismus in Nordkorea sei unumkehrbar. Die Wirklichkeit ist komplizierter: Jeder gelenkte Umbau der Wirtschaft soll zuallererst die Legitimität und Macht des jungen Führers vergrößern. So dürfen neuerdings weit mehr Nordkoreaner in China arbeiten, was nach mehr Freizügigkeit aussieht. Aber ihr Lohn in Devisen geht direkt an das Regime. Zugleich riegelt Kim die Grenzen stärker ab, sodass 2012 nur noch weniger Menschen nach China fliehen konnten.

Porträt von Kim Jung Un (Foto: Kyodo)
Auch Kim Jong Un spürt den LeistungsdruckBild: picture-alliance/dpa

Bei der geplanten Agrarreform geht es ebenfalls nicht um eine Abkehr vom Sozialismus. Laut einem Dekret vom 28. Juni 2012 werden die Agrarkollektive in kleineren Gruppen arbeiten und die Bauern dürfen 30 Prozent ihrer Ernte behalten. Erste Tests der neuen Politik könnten im Frühjahr in drei der sieben Provinzen beginnen. Wie bei einem ähnlichen Experiment ab 2002 soll der Selbstbehalt aber nur für die Menge über der Staatsquote gelten. Zudem sollen die Bauern zwei Drittel ihrer ohnehin bescheidenen Privatbeete, die ihnen erst vor zehn Jahren erlaubt wurden, zurück ans Kollektiv geben. Die Agrarreform dient also weniger der Mehrproduktion gegen den Mangel, sondern will den Abstand zwischen Staats- und Marktpreisen verringern und die galoppierende Inflation von zuletzt 116 Prozent eindämmen.

Reisbauern in Nordkorea, Foto: AFP/Getty Images
Reisfeld in NordkoreaBild: Getty Images

Rechtsunsicherheit verhindert Investitionsboom

Für den versprochenen Ausbau der Leichtindustrie braucht Nordkorea dringend Kapitalgeber. Interessant sind lukrative Vorkommen an Seltenen Erden und anderen Metallen, gut ausgebildete Arbeitskräfte, niedrige Löhne von einem US-Dollar pro Tag und die Nähe zum größten Markt der Welt: China. Ein großzügiges Gesetz mit einem modernen Rahmen soll Investoren anlocken. Vor allem Chinesen haben schon Gemeinschaftsunternehmen gegründet. Über ihre koreanischen Geschäftspartner fließen mehr Waren ins Land. Das füllt die Regale der Geschäfte, auf den Straßen fahren mehr Privatwagen.

Doch ein Investitionsboom ist unwahrscheinlich. Dafür fehlt nach Ansicht von Beobachtern die Rechtssicherheit. Wenn das Geld erst einmal geflossen sei, dränge Nordkorea den Investor heraus, analysiert etwa die Xiyang-Group aus China, die ihre nordkoreanische Eisenerzmine als "Albtraum" beschreibt. Nur die ägyptische Firma Orascom war bisher tabu - vielleicht, weil Nordkorea das gebaute Mobilfunknetz nicht ohne Hilfe selbst betreiben kann. Außer Enteignung müssen ausländische Investoren internationale Strafen wegen Verstößen gegen UN-Sanktionen befürchten.

Hohe Investitionshürden

Gegen eine Direktinvestition spricht auch der kleine Markt von 24 Millionen Einwohnern fast ohne Kaufkraft. Dazu kommen hohe Nebenkosten durch fette Bestechungsgelder sowie die kaputte Infrastruktur. Außerdem haben die Investoren keine Kontrolle darüber, ob in den Joint Ventures Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Geschäfte werden erschwert, weil alle Zahlen Staatsgeheimnisse sind, selbst das Bruttoinlandsprodukt. "Wegen seiner Abschottung verfügt Nordkorea über so wenig ökonomisches Basiswissen wie kaum ein anderes Land", gibt Bernhard Seliger von der Hanns-Seidel-Stiftung im südkoreanischen Seoul zu bedenken.

Nach der offiziellen Militär-zuerst-Politik (Songun) fließen alle Ressourcen zuerst zur Armee. (AP Photo/David Guttenfelder)
Ressourcen fließen zuerst ins MilitärBild: picture-alliance/AP

Skepsis ist angebracht, weil das Denken der Führung seit sechs Jahrzehnten ausschließlich um den eigenen Machterhalt kreist. Jede Wirtschaftsreform muss die Versorgung der regimetreuen Oberschicht aus Beamten, Kadern und Offizieren mit genug Annehmlichkeiten absichern und verbessern. Die Überlebenskunst der Kim-Herrscher beruht auf Misstrauen und Kontrollsucht. Die Nähe zum prosperierenden Südkorea - und damit die Gefahr einer unkontrollierten Vereinigung - zwingt das Regime zu besonderer Vorsicht. Eine neue Händlerschicht zum Beispiel wurde 2009 durch eine Währungsreform gezielt enteignet.

Keine Selbstkritik

Anders als sein Vater und Großvater räumt der junge Führer Kim Jong Un zwar offen ein, dass die wirtschaftlichen Ziele bisher nicht erreicht wurden. Aber Selbstkritik gibt es nicht, schuld sind immer andere. Entweder die USA und ihre feindliche Blockadepolitik, oder wie Kim Mitte März in einer Rede zur Leichtindustrie erklärte, das "mangelnde Verantwortungsgefühl der Arbeiter, die sich nicht genug anstrengen". Dabei ist die Ursache der Misere die offizielle Militär-zuerst-Politik, weswegen fast alle Ressourcen zur Armee fließen. Ohne den Rückhalt durch die Armee würde Kim jedoch seine Macht verlieren.