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Referendum mit Folgen für Frankreich und Europa

30. Mai 2005

Der Schock nach dem Nein der Franzosen zur EU-Verfassung sitzt tief. In Paris steht eine Regierungsumbildung bevor - vielleicht sogar Neuwahlen. In Brüssel herrscht Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen.

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EU-Verfassung ohne französische UnterstützungBild: dpa

Nach dem Scheitern der Volksabstimmung über die EU-Verfassung in Frankreich will Staatspräsident Jacques Chirac am Dienstag (31.5.2005) über eine Umbildung der Regierung entscheiden. Am Dienstagabend werde Chirac seine Entscheidung in einer Fernsehansprache erläutern, teilte der Elysee-Palast am Montag mit.

De Villepin oder Sarkozy?

Nicolas Sarkozy Frankreich
Nicolas SarkozyBild: AP

In Paris gilt als sicher, dass Chirac seinen Premierminister Jean-Pierre Raffarin entlassen wird. Als Favoriten für Raffarins Nachfolge gelten Innenminister Dominique de Villepin, der zu Chiracs engstem Kreis zählt, und dessen Vorgänger Nicolas Sarkozy, der als Chiracs Hauptrivale im bürgerlichen Lager bei der Kandidatur für die Präsidentschaft 2007 gilt. Sarkozy ist Chef von Chiracs Regierungspartei UMP.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen nach dem Scheitern des französischen Referendums zur EU-Verfassung bei ihrem Gipfel am 16. und 17. Juni über das weitere Vorgehen beraten. "Der Vertrag ist nicht tot", sagte Ratspräsident Jean-Claude Juncker. Nachverhandlungen schloss Juncker aus. Stattdessen müsse der Ratifizierungsprozess fortgesetzt werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte in Berlin: "Der Ausgang des Referendums ist ein Rückschlag für den Verfassungsprozess, aber nicht sein Ende."

"Große Herausforderung"

Gerhard Schröder im Bundestag China
Bundeskanzler Gerhard SchröderBild: AP

Chirac und Schröder sind sich nach Regierungsangaben aus Berlin darüber einig, den Ratifizierungsprozess fortzusetzen. Am 10. Juni wollen sich beide Politiker im südfranzösischen Sete treffen. Außenminister Joschka Fischer sagte, das Nein stelle "Europa vor große Herausforderungen".

Bei dem Referendum am Sonntag hatten sich fast 55 Prozent gegen den Verfassungsvertrag ausgesprochen, nur gut 45 Prozent stimmten mit Ja. Die Beteiligung lag bei rund 70 Prozent.

Neuwahlen auch für Frankreich gefordert

In Paris galt es als sicher, dass Premierminister Jean-Pierre Raffarin abgelöst werden würde. Die Sozialisten forderten als Konsequenz aus dem Referendum Neuwahlen wie in der Bundesrepublik. Deutschland hatte die Verfassung am vergangenen Freitag im Bundesrat endgültig ratifiziert.

Der französische Außenminister Michel Barnier betonte: "Es ist das erste Mal seit 50 Jahren, dass Deutsche und Franzosen über ein grundlegendes Problem in Europa unterschiedlicher Meinung sind." Deutschland und Frankreich stünden für eine soziale Ausrichtung Europas, diese drohe nun zu verschwinden.

Merkel will Europa treu bleiben

Angela Merkel
CDU-Vorsitzende Angela MerkelBild: dpa

CDU-Chefin Angela Merkel sagte, der europäische Integrationsprozess stehe vor einer äußerst schwierigen Herausforderung. Die Union stehe gleichwohl weiter hinter der Verfassung. Merkel warnte aber davor, Europa zu "überdehnen".

In einer gemeinsamen Erklärung von EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Josep Borrell hieß es, das Ergebnis in Frankreich müsse genau analysiert werden. Die Verfassung sei bereits in neun EU-Staaten ratifiziert, die fast 50 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentierten. Die Verfassung kann aber nur in Kraft treten, wenn sie von allen 25 EU-Staaten ratifiziert ist.

Wackelkandidat Niederlande

EU-Gipfel: Balkenende mit Barroso
Jan Peter Balkenende (l.) und Jose Manuel BarrosoBild: dpa

EU-Kommissionssprecherin Francoise Le Bail verwies auf ein Zusatzprotokoll der Verfassung, wonach sich die Chefs des Themas noch einmal annehmen, wenn mindestens 20 Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben, die übrigen aber nicht. Die nächste Hürde kommt am Mittwoch, wenn die Niederländer abstimmen. Auch hier liegen in Umfragen die Gegner vorn. Ministerpräsident Jan Peter Balkenende rief seine Landsleute auf, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Der britische Premierminister Tony Blair mahnte, die EU müsse sich mehr den grundlegenden Ängsten ihrer Bürger zuwenden. Dazu sei eine "Periode des Nachdenkens" notwendig. Der slowakische Außenminister Eduard Kukan sagte, sein Land sei über das Nein der Franzosen "sehr enttäuscht und desillusioniert". (kap)