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Rechtsruck in der dänischen Politik?

Gasan Gusejnov3. Mai 2002

Anlässlich des Besuches von Bundespräsident Johannes Rau in Dänemark und dem dänischen EU-Vorsitz im nächsten Halbjahr, sprach DW-WORLD mit der Autorin Helen Karg.

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Helen L. Krag im Gespräch mit DW-WORLDBild: DARC

Helen L. Krag ist Direktorin des Instituts für Minderheitenforschung an der Universität Kopenhagen. Autorin von mehreren Büchern zur Zeitgeschichte und Ethnopolitik. DW-WORLD-Redakteur Gasan Gusejnov sprach Ende April 2002 mit ihr.

Sollte europaweit das Menschenrechtskonzept umgedacht werden? ("Europa ist keine Arche Noah")

Dänemark hatte diese Woche Besuch von Johannes Rau, der in der Außenpolitischen Gesellschaft seine Überlegungen zur demokratischen Entwicklung der EU darlegte. Einer der Punkte, die vom Publikum angesprochen wurden, galt den Rechten der Minderheiten, die in der Charta von Nizza nicht vorkommen. In seinem Modell einer Europäischen Föderation von Nationalstaaten ist der Minderheiten nicht gedacht, obwohl diese doch gerade die Schwachstelle des Nationalstaates aufzeigen.

Mit der Aufnahme neuer Staaten in die EU wird die Dringlichkeit einer rechtlichen und politischen Sichtbarmachung von Minderheiten, das heißt Gruppen innerhalb der existierenden Nationalstaaten beziehungsweise grenzüberschreitender Besiedlung notwendig. Man denke etwa an die Ungarn in der Slowakei und in Rumänien oder an Europas stärkste Minderheit, die Roma und Sinti. Wenn das Ziel ein prosperierendes und konfliktfreies Europa ist, müssten auch rechtliche Entscheidungen zu Fragen der Staatsbürgerschaft neu aufgeworfen werden, da der Ausschluss von Minderheiten aus den demokratischen Beschlüssen ebenso wie ungleiche Verteilung von Gütern - wirtschaftlich sowie rechtlich - zwischen Mehrheit und Minderheit konfliktpotentiell wirken.

Es gehört zu den im Europarat längst beschlossenen und in Konventionen verabschiedeten gemeinsam Grundvoraussetzungen, dass Europa und jedes Land innerhalb Europas von Vielfalt geprägt ist.

Es hätte eine Aufgabe für die Periode des dänischen Vorsitzes im nächsten Halbjahr sein können, eine solche Haltungsänderung zu fördern. Dies ist aber nicht geplant.

Hat sich in Dänemark seit dem Regierungswechsel wirklich etwas geändert? Insbesondere in bezug auf die gute dänische Tradition, Minderheitenrechte im Ausland und zu Hause in Schutz zu nehmen?


Dänemark hat einen guten Ruf beim Thema Minderheitenrechte. Dieser Ruf baut sich auf zwei Säulen auf: Erstens die Rettung der dänischen Juden während der nationalsozialistischen Besatzung, zweitens die vorbildliche Lösung der Minderheitenfrage an der deutsch-dänischen Grenze. Vorbildlich an diesem sogenannten Schleswig-Modell ist die einverständliche Lösung zwischen den beiden Staaten Dänemark und Deutschland für die jeweiligen deutschen und dänischen Minderheiten.

Voraussetzung für diese Lösung ist einerseits das Wohlstands- Gleichgewicht sowohl zwischen den Staaten als auch zwischen Staat und Minderheit. Darüber hinaus gibt es wenig Grund, um stolz zu sein. Dänemark ist in der Anerkennung von Minderheiten eher restriktiv, was auch z. B. vom Europarat in bezug auf die Einhaltung der Rahmenkonvention für nationale Minderheiten kritisch vermerkt wurde. Wie bekannt tritt Dänemark vehement für eine Einhaltung jeder Meinungsfreiheit ein und ist aus diesem Grunde nicht geneigt, auch stark diskriminatorische oder rechtstrendige Äußerungen anzuklagen. Der Rassismusparagraph im dänischen Gesetz ist sehr schwach, die Anwendung noch schwächer.

Die neue Regierung hat sich eindeutung für eine Verschelchterung der Bedingungen von Flüchtlingen entschieden. Ein neues Integrationsgesetz wird gerade zur dritten Lesung im Parlament vorbereitet. Vom Gesichtspunkt der Rechte von Neuzuwanderern ist dieses Vorgehen nicht rühmenswert. Die neue Regierung hat auch die Hilfe an die Dritte Welt, für die Dänemark berühmt war, sehr eingeschränkt.

Die dritte Maßnahme, die ich erwähnen möchte, ist die massive Kürzung der Budgets von menschenrechtsorientierten Instituten. Kürzungen, die auch zur Schließung der Institute führt.

Gehören weltweite Menschenrechtsverletzungen zu den Ursachen des Terrorismus. Gerät die Würde des Einzelnen in Konflikt mit dem Verlangen nach absoluter Sicherheit?

Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war ein Jahrzehnt in dem versucht wurde, Konflikte durch Vorbeugung zu lösen und diese durch Menschen- und Minderheitenrechte zu sichern. Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts verläßt sich mehr auf Sicherheit. Man kann sagen "Software" wird durch "Hardware" ersetzt. Wenn man davon ausgeht, es ist richtig, dass es nicht so sehr die Sprache und die Religion ist, die Identitäten bestimmen, sondern es eher Erfahrungen von historischen und aktuellen Verletztheiten sind, die bestimmen, wer als prototypischer Feind gesehen wird. Dann ist der einzige Weg zur Konfliktverbesserung die Arbeit am Mißtrauen und der Verletzlichkeit. Also der Aufbau von Vertrauen an Sicherheit und Recht und nicht deren Mißachtung.

Man kann Menschen in Staaten durch Vertrauen und Recht zu Teilnehmern und willigen Mitbürgern machen oder durch Macht zu unwilligen und aufmüpfigen Untertanen. Menschenrechte waren die Garantie der relativ friedlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Menschenrechtsverletzungen sind eine Grantie für Unfrieden. Zusätzlich ist die bewußte Konstruktion einer neuen Kategorie von Feinden (eine schon fast homogen gesehene Gruppe die man Terroristen nennt), die dazu dienen soll, daß diejenigen, die den Terrorismus bekämpfen wollen durch das gemeinsame Feindbild zu Alliierten werden, fördernd für neues Konfliktdenken und dadurch dem Sicherheitsbegriff entgegengesetzt. Die Würde des Einzelnen – und zwar gesichert durch sein Recht auf Existenz ebenso wie auf sein Recht auf Identität und Partizipation – ist die einzige Garantie für wirkliche Sicherheit.