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Recht auf freie Meinungsäußerung war stärker

3. Juni 2004

– Ungarisches Gesetz gegen Volksverhetzung verfassungswidrig

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Budapest, 1.6.2004, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Ágnes Lukács

Das Verfassungsgericht hat vergangene Woche das Gesetz gegen Volksverhetzung einstimmig für verfassungswidrig erklärt. Es hätte nach der eingehenden Modifizierung im vergangenen Dezember zu den restriktivsten Regelungen in ganz Europa gehört. Die Verfassungsrichter begründeten ihre Ablehnung damit, dass das neue Gesetz das Recht auf freie Meinungsäußerung arg beschnitten hätte.

Das Parlament verabschiedete die Regelung Ende des vergangenen Jahres, um dem wachsenden Rassismus und Antisemitismus im Land entgegenzuwirken. Besonders aktuell wurde die Regelung der Frage nach dem Urteil gegen das Mitglied der rechtsextremen Gerechtigkeitspartei MIÉP Lóránt Hegedüs. Er wurde nach antisemitischen Äußerungen zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Zuvor hatte er in einer Publikation "die Entfernung der galizischen Horden aus dem öffentlichen Leben Ungarns" angeregt. Mit dieser Umschreibung zielte er ganz klar auf die Juden. Während der Verhandlung vertrat Hegedûs immer wieder die Auffassung, dass er nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hätte.

Antisemitische Bemerkungen gehören inzwischen auch bei Kundgebungen rechtsextremer Gruppierungen zum festen Ritual. Auch bei Spielen des als "jüdisch" verschrienen Budapester Fußballvereins MTK kommt es regelmäßig zu antisemitischen Äußerungen. Es werden Losungen gebrüllt wie: "Der Zug fährt ab nach Auschwitz" und selbst Transparente mit extremen antisemitischen Losungen hochgehalten.

Dem immer weiter um sich greifenden verbalen Antisemitismus wollte die MSZP (Ungarische Sozialistische Partei – MD) mit der Gesetzesinitiative Einhalt gebieten. Angetrieben von einer guten Absicht schoss sie dabei jedoch weit über das Ziel hinaus, sowohl bei der Definition der strafbaren Handlung als auch bei der Festlegung des Strafmaßes. So sollte die öffentliche Beleidigung von Personen mit ethnischen, rassischen oder religiösen Motiven mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Volksverhetzung gegen Nationen oder Gruppen hätte bereits mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden sollen.

Die Opposition machte von Anfang an Front gegen den Vorstoß der Sozialisten. Selbst deren Koalitionspartner SZDSZ (Bund Freier Demokraten – MD) ging die Gesetzesvorlage gegen deren liberalen Prinzipien. Das Verfassungsgericht wies das Gesetz schließlich mit einem Hinweis auf die Grundrechte des Menschen ab. Hätte das geplante Gesetz Rechtskraft erlangt, wären Verhaltensweisen strafbar geworden, die ansonsten von der Verfassung werden sollen.

Die MSZP lässt sich durch den Urteilsspruch des Verfassungsgerichts nicht entmutigen. Sie wird sich weiterhin für das Gesetz einsetzen. Dabei wird sie stark von der jüdischen Gemeinde unterstützt, die die Ablehnung des Gesetzes bedauert hatte. Die Gesetzesvorlage erregte in politischen Kreisen und in den Medien bereits vor ihrer Verabschiedung im Dezember großes Aufsehen. Bei der Abstimmung über die Vorlage zeigte sich das Parlament gespalten: Mit 184 gegen 180 Stimmen wurde die Vorlage der MSZP schließlich angenommen. Außer den Abgeordneten der Opposition hatten auch einige SZDSZ-Parlamentarier gegen die Vorlage gestimmt.

Der knappe Sieg der MSZP brachte der Partei dann jedoch nicht das erwartete Ergebnis, da Staatpräsident Ferenc Mádl seine Unterschrift unter das Dokument verweigerte. Als Erklärung führte er seine Sorge vor einer zu starken Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung an. Da er auch verfassungsrechtliche Bedenken hatte, übergab er das Dokument zur Prüfung dem Verfassungsgericht, der es nun für nichtig erklärte. (fp)