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Ratlosigkeit und Wut in Griechenland

11. Oktober 2011

Kommt der Haircut, der Schuldenschnitt? Was heißt das für mich? Werde ich arbeitslos? Wer wird uns aus dieser Krise führen? Die griechischen Bürger stellen sich zurzeit viele Fragen. Aber sie bekommen keine Antworten.

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Proteste in Athen (Foto: dapd)
Wie weiter?Bild: dapd
Griechische Zeitungen mit Hiobsbotschaften (Foto: DW)
Griechische Zeitungen mit HiobsbotschaftenBild: DW

Bei einer Veranstaltung am Wochenende in Thessaloniki wurde der griechische Innenminister Kastanidis mit Joghurt beworfen und aufs Übelste beschimpft. Das ist im heutigen Griechenland keine Ausnahme, sondern der Normalfall. Kaum ein Politiker der jetzt regierenden Pasok-Partei oder der davor regierenden Néa Dimokraía traut sich noch in die Öffentlichkeit. "Sie sind alle verkommen, Teil eines korrupten Systems, das uns in diese Lage gebracht hat", schimpft die leitende Wirtschaftsjournalistin einer seriösen griechischen Zeitung. Auf die Frage, wer das Land aus der Krise führen soll, zuckt sie mit den Achseln: sie weiß es nicht.

Es herrscht Ratlosigkeit im Land. Diese wird noch dadurch verstärkt, dass die Menschen von morgens bis abends in den Medien mit allen möglichen Szenarien über eine Insolvenz Griechenlands bombardiert werden. Die Tatsache, dass die Entscheidung über einen Schuldenschnitt im Ausland fällt, gibt viel Raum für Verschwörungstheorien.

Alte Ressentiments…

Dimitris Theodorou (Foto: DW)
Dimitris Theodorou, Tavernen-Inhaber in AthenBild: DW

So sagt Dimitris Theodorou, ein Tavernen-Besitzer, dass "Deutschland uns 115 Milliarden an Kriegsreparationen schuldet." Einmal in Fahrt, kennt der Gastwirt keinen Halt: "Ist das denn die Möglichkeit: Ein Land, das eine Zivilisation hervorgebracht hat, ist durch ein Land zugrunde gerichtet, dass zwei Weltkriege ausgelöst hat. Ob Griechenland auch eine Schuld trägt? Natürlich sind auch wir nicht frei von Schuld. Und wissen Sie warum? Weil wir so lange Siemens beherbergt haben." Gemeint ist das deutsche Unternehmen, das in Griechenland Korruption in großem Maßstab betrieben haben soll.

Nun könnte man meinen, Dimítris Theodorou sehe auch in der sogenannten Troika, also in den Vertretern des Internationalen Währungsfonds, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank, Bösewichte, die Griechenland die harten Sparmaßnahmen aufgezwungen haben. Doch die Antwort von Theodorou überrascht: "Sie machen ihre Arbeit. Sie tun das, was getan werden muss. Sie machen es mutmaßlich gut. Es ist eine Einbahnstraße."

…und realistische Einsichten

Athener Markthalle (Foto: DW)
Athener MarkthalleBild: DW

Mit dieser Haltung ist er nicht allein - die Umfragen bestätigen, dass eine große Mehrheit der Griechen zwar gegen die Sparmaßnahmen ist, aber fast genau so viele sind auch dagegen, die Gespräche mit der Troika abzubrechen.

Ähnliche Ambivalenz ist auch im Alltag sichtbar. In immer kürzeren Abständen verkündet die Regierung neue Steuer- und Abgabelasten, Staatsangestellte müssen auf 20 Prozent ihres Gehalts verzichten, die Jugendarbeitslosigkeit ist auf über 40 Prozent gestiegen. Und trotzdem kamen letzte Woche zu den Demonstrationen der Gewerkschaften während des Generalstreiks in Athen gerade einmal 16.000 und in Thessaloniki 10.000 Menschen zusammen. Wie immer waren es fast ausschließlich staatliche Bedienstete.

Sparen ist angesagt

Auf der anderen Seite bleiben die Gehälter der Beschäftigten in der Privatwirtschaft bislang trotz der Krise unangetastet. Allerdings steht auch ihnen durch die ständig steigenden Steuern und Abgaben weniger Geld zur Verfügung. Für den Hotelangestellten Tassos Lékkos hat das unmittelbare Folgen. "Ich versuche, so bescheiden wie möglich zu leben. Ich gehe nicht mehr so oft aus, ich habe meine Ausgaben für Kleidung auf das Nötigste reduziert und sogar meine sozialen Verpflichtungen reduziert. Was das heißt? Ich finde immer öfter einen Vorwand, damit ich mich nicht mit Leuten treffe, weil das mit Ausgaben verbunden ist", erklärt Lékkos.

Ermoustraße, eine Athener Geschäftsstraße (Foto: DW)
Halbleer - die Ermoustraße, eine Athener GeschäftsstraßeBild: DW

Ein Bild wie auf der einstmals belebten Geschäftsstraße Ermou inmitten von Athen ist mittlerweile normal: es ist Samstagmittag und die Ermou-Straße ist halbleer. Auch in den Geschäften sind nur wenige Kunden. Ein paar Straßen weiter, in der zentralen Markthalle, scheint es anders zuzugehen. Man hat den Eindruck, hier drängen sich mehr Menschen durch die Stände als vor der Krise. Und das stimmt, sagt Metzgermeister Jánnis Tsúbis. Viele Konsumenten kaufen nicht mehr im Supermarkt ihres Viertels, sondern in der Markthalle. Und hier wird der Gewinn über die Verkaufsmasse und nicht über den handelsüblichen Preis geholt. "Anstatt für vier Euro verkaufen wir das Kilo Fleisch für 1,5 Euro", sagt Tsúbis und fügt stolz hinzu: "Unser Umsatz ist um zehn bis 15 Prozent gestiegen. Das ist eine gute Zahl, wenn man bedenkt, dass in anderen Branchen der Umsatz um 50 Prozent gesunken ist."

Und wie geht es weiter mit dem Land? Auch Jannis Tsúbis hebt die Schultern: er weiß es nicht.

Autor: Panagiotis Kouparanis

Redaktion: Zoran Arbutina