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Viele Gesichter

22. Juli 2008

Als Psychiater begann Radovan Karadzic, als Angeklagter vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag endet die bisherige Karriere des Kriegsverbrechers.

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Porträt von Radovan Karadzic (dpa)
Karadzic früherBild: AP

Dem 63-Jährigen mit der einst so voluminösen Fönfrisur traut man die ihm vorgeworfenen Gräuel auf den ersten Blick nicht zu: Radovan Karadzic, am 19. Juni 1945 in Montenegro geboren, machte 1971 seinen Doktor der Medizin. Er arbeitete lange Jahre als Psychiater in einer eigenen Praxis. Und schon früh entdeckte er seine Vorliebe für die Poesie. Seit Ende der 1960er Jahre veröffentlichte er zahlreiche Gedichtbände. Im Herbst 2004 erschien seine Biografie, zu deren Vorstellung in Belgrad er nicht persönlich erschien, sondern seinen Bruder schickte. In seinen Gedichten thematisierte er stets den groß-serbischen Gedanken.

Schlächter und Held

1990 stieg er nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens in die Politik ein. Karadzic wurde Vorsitzender der Serbischen Demokratischen Partei in Bosnien-Herzegowina, zwei Jahre später Präsident der neu ausgerufenen Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina, die später in "Republik Sprska" umbenannt wurde. Während des Bosnien-Kriegs (1992-1995) schien Karadzics Traum eines Groß-Serbiens zunächst aufzugehen: Die bosnischen Serben eroberten 70 Prozent des bosnischen Gebietes.

Jedes Mittel war Karadzic als Befehlshaber dabei recht: Er ließ internationale Hilfstransporte plündern oder besteuern, Sarajevo belagern und UN-Soldaten als "lebende Schutzschilde" entführen. Ihm wird die Verantwortung für den Tod von 75.000 Zivilisten, für mehr als 400 Massaker, 380 Lager und 93 Massengräber zugeschrieben. Das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erließ im Juli 1996 einen internationalen Haftbefehl gegen Karadzic.

Dieser reagierte schnell und tauchte unter. Seitdem gab es mehrere Anläufe, ihn festzunehmen. Ein spektakulärer Versuch 2004 scheiterte. Für die Serben war er lange Jahre ein Held - die Bosnier suchen nach Vergeltung für die begangenen Gräueltaten.

'Kuhhandel'?

Die Weltöffentlichkeit fragte sich, warum Karadzic, die Nummer Eins auf der Fahndungsliste des Haager Tribunals, so lange unbehelligt blieb. Die mögliche Erklärung lieferte Ende vergangenen Jahres die entlassene Sprecherin des Tribunals, Florence Hartman, in ihrem Buch "Frieden und Bestrafung": Karadzic sei nicht verhaftet worden, weil er aus politischen Gründen nicht verhaftet werden durfte. Russland und die USA hätten das verhindert.

Grund sei eine Abmachung zwischen Karadzic und dem damaligen amerikanischen Bosnien-Unterhändler Richard Holbrooke am Ende des Bosnien-Kriegs 2005 gewesen. Die USA hätten Karadzic zugesichert, er werde nicht in Den Haag landen, wenn er sich künftig aus der Politik heraushalte. Die frühere Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, bestätigte kurz vor Ende ihrer Amtszeit 2007 in einem "Spiegel"-Interview eine Einmischung der Politik in ihre Arbeit. Sie will mit einem eigenen Buch in diesem Jahr zur Aufklärung beitragen.

Karadzic der Schauspieler

Möglicherweise liefert Karadzic selbst bald die Erklärung. Er fügte seinen verschiedenen Berufen zuletzt noch den eines Schauspielers hinzu: Ein von den Ermittlern präsentiertes Foto nach seiner Festnahme zeigt den 63-Jährigen mit Brille, langen weißen Haaren und weißem Bart. Er hatte zuletzt unter falschem Namen in einer Privatklinik als Psychiater gearbeitet und sein Geld mit Alternativmedizin verdient. Gewohnt hat er offenbar in einer Beton-Hochhaussiedlung im Belgrader Vorort Novi Beograd.(hy)

Porträtaufnahme von Karadzic heute mit weißem Haar, langem Bart und Brille
Karadzic heuteBild: AP
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