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Qual der Wahl

Ingo Mannteufel14. Oktober 2004

Der russische Präsident ist für drei Tage in China. Der Besuch Wladimir Putins könnte auch Fortschritte beim heiklen Thema Pipeline-Bau durch das Reich der Mitte bringen.

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Eine Pipeline bereitet KopfzerbrechenBild: AP

Chinas Wirtschaftsboom treibt den Energiebedarf des bevölkerungsreichsten Landes der Erde in neue Höhen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der chinesische Ölbedarf verdoppelt. Da die eigene Ölförderung wesentlich langsamer wächst und ihr vor allem die großen Ressourcen fehlen, muss der steigende Bedarf importiert werden. Angesichts dieser chinesischen Nachfrage nach Öl und Gas sollte der chinesisch-russischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet kaum etwas im Weg stehen. Denn Russland ist - neben Saudi-Arabien - der größte Exporteur dieser Rohstoffe weltweit und liegt als Nachbarland Chinas durchaus geostrategisch günstig. Doch irgendwie findet Russland keine richtige Antwort auf das chinesische Werben.

Viele Optionen

Seit Jahren verspricht zwar Russland den Bau einer neuen Pipeline von Sibirien nach Asien. Im Gespräch sind dabei zwei Optionen: Vorgeschlagen wird eine rund 2400 Kilometer lange Pipeline von Angarsk in Sibirien nach Daqing in China. Die andere ins Spiel gebrachte Strecke - von der sibirischen Stadt Tajschet zum russischen Hafen Nachodka - könnte Öl nach Japan, Südkorea und sogar an die Westküste der USA liefern. Die Pipeline zum Stillen Ozean wäre jedoch fast doppelt so lang und dementsprechend wesentlich teurer. Über die finanziell günstigere "chinesische Variante" ließe sich aber nur China beliefern. Peking wäre bei Preisverhandlungen in einer guten Position und könnte deutliche Preisnachlässe fordern.

Russische Regierungsvertreter und die Chefs der russischen Ölkonzerne haben bislang nur verwirrende Äußerungen gemacht, welche der beiden Pipelines nun gebaut werden soll. Einen deutlichen Dämpfer erhielt die "chinesische Route" durch die Yukos-Affäre, favorisierte doch gerade Michail Chodorkowski diese Pipeline.

Interessen, darunter auch nationale

Die Gründe für die russische Unentschlossenheit sind vor allem unterschiedliche Interessen einzelner informeller Gruppen im russischen Staatsapparat und der Öl- und Gasindustrie, die beim Pipeline- und Ölgeschäft verdienen wollen. Dazu kommen die ökonomischen Überlegungen, welche der Pipelines wirtschaftlich tragfähig ist und ob russische Ölfelder die zusätzlichen Kapazitäten für die Pipelines bereitstellen können. Verkompliziert wird die Entscheidung durch diplomatische und sicherheitspolitische Fragen: Der Bau der chinesischen Pipeline hätte unangenehme Folgen für das traditionell nicht einfache russisch-japanische Verhältnis. Gleichzeitig wird China als Weltmacht in spe von einigen in Russland als potentieller Gegner betrachtet. Schon jetzt beklagen viele Russen in Sibirien die große Zahl chinesischer Einwanderer.

Während Russlands Staatsbeamten und Öl-Chefs über die richtige Route streiten, hat China längst Tatsachen geschaffen: Vor wenigen Wochen vereinbarten China und Kasachstan den Bau einer Pipeline vom kasachischen Atasu ins westliche China. Durch dieses Leitungsnetz könnte auch russisches Öl nach China fließen. Ob sich Russland anschließen werde, hänge jedoch von den Bedingungen ab, erklärte zurückhaltend Wiktor Christenko, Russlands Minister für Energiewirtschaft und Industrie.

Zeit drängt

An der Entscheidung über die Pipeline wird sich zeigen, ob Präsident Putin im informellen russischen System stark genug ist, die unterschiedlichen Interessen seiner Bürokratie und der Ölkonzerne mit seinem außenpolitischen Kurs in Einklang zu bringen. Vielleicht bringt sein Besuch in Peking am Donnerstag (14. bis 16.10.2004) mehr Klarheit. Die Zeit jedenfalls drängt: Es wird Jahre dauern, bis die Pipelines fertig sind und die Dollar zurück nach Russland zur Modernisierung des Landes fließen.