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Qiu Xiaolong: Tod einer roten Heldin

Thomas Bärthlein12. Juni 2003

Oberinspektor Chen ermittelt in einem brisanten Fall: Das Opfer war als Heldin der Arbeit ein politisches Vorbild. In ihrem Wäscheschrank findet Chen bürgerlich-dekadente Reizwäsche und ein Bündel erotischer Fotos.

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Zwei Angler fischen die Leiche einer jungen Frau aus einem Kanal in der Nähe von Schanghai: Guan Hongying. Schon ihr Name bedeutet: "rote Heldin". Noch dazu ist die Verkäuferin in einem staatlichen Schanghaier Kaufhaus als "nationale Modellarbeiterin" ausgezeichnet worden. Wobei ihr Lebenswandel, das findet Oberinspektor Chen Cao bei seinen Recherchen schnell heraus, gar nicht so vorbildlich war ...

Dass man dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, liegt vor allem an diesem unwiderstehlich sympathischen Inspektor Chen. Er schreibt moderne Lyrik und übersetzt englische Kriminal-Romane. Er kann sich nicht entscheiden, ob er den Avancen der Journalistin Wang Feng nachgeben soll, weil da noch eine andere ist. Und er zweifelt daran, ob Polizist wirklich sein Traumberuf ist. Doch was die Figur von Chen Cao vor allem interessant macht: Er passt nicht in die im Westen verbreiteten Schwarz-Weiß-Bilder von der bösen Obrigkeit und den guten Regime-Gegnern in China.

Vielschichtig gezeichnete Charaktere

Buchcover: Qiu Xiaolong - Tod einer roten Heldin

Chen Cao ist ein engagierter Polizist, der dabei ist, in der Partei Karriere zu machen. Der die Macht-Spiele hinter den Kulissen kennt und sich, zwar widerwillig, aber dann doch geschickt beteiligt. Auch Chens Kollegen wie der ein bisschen naive Yu Guangming, der alte Betonkopf Zhang Zhiqiang sind vielschichtig gezeichnete Charaktere, die mit ihren Schwächen und Widersprüchen einen wunderbaren Einblick ins Leben Shanghais des Jahres 1990 geben.

Qiu Xiaolong
Bild: CARL HANSER VERLAG/PAUL ZSOLNAY VERLAG

"Tod einer roten Heldin" ist trotzdem ein Krimi und keine Sozial-Studie. Der Autor Qiu Xiaolong versteht es meisterhaft, einflussreiche Kader und politisch motivierte Richter in die Handlung einzubauen. Für die Ermittler wird es schwieriger, politische Fallstricke zu umgehen, als den Mörder zu überführen. Was sich am Schluss daraus entwickelt, ist für alle eine handfeste Überraschung ...

Sehr chinesischer Schreibstil

Qiu Xiaolong, der Autor, stammt selber aus Schanghai und lebt seit 1988 in den USA, wo er chinesische Literatur unterrichtet - was man nicht zuletzt an den zahlreichen Einsprengseln chinesischer Lyrik im Roman ablesen kann. Obwohl er auf englisch schreibt, entwickelt Qiu einen ganz eigenen, sehr chinesischen Stil - mit einem Sinn für feine Ironie:

"Jung und unschuldig saß sie in dieser ländlichen Idylle, las in ihrem Buch - vielleicht eine Gedichtsammlung - und bot durstigen Reisenden, die hier vorbeikamen, Erfrischung an. Diese Kleinigkeiten, die ihm da durch den Kopf schwirrten, fügten sich zu einem Bild, auf das er einmal in den Schriften aus der Tang-und-Song-Zeit gestoßen war: 'Schlank, biegsam, ist sie kaum älter als dreizehn - die Spitze einer Kardamomknospe, Anfang März.'"

"Entschuldigung", sagte er und stellte sein Motorrad am Straßenrand ab, "weißt du, wo der Baili-Kanal ist?" - "Der Baili-Kanal? Ach ja, immer geradeaus, noch etwa acht Kilometer." - "Danke." Er bat sie noch um einen großen Becher Tee. "Drei Fen", sagte das Mädchen, ohne von seinem Buch aufzublicken. "Was liest du denn da?" - "Visual Basics."

Wer am Ende noch nicht genug hat von Qiu Xiaolong - auf englisch gibt es schon den nächsten Fall von Inspektor Chen, und auch der wird hoffentlich bald auf deutsch erscheinen …

Qiu Xiaolong
Tod einer roten Heldin
Zsolnay, 2003
ISBN 3-552-05229-1
EUR 23,50