1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Solarunternehmen Q-Cells

Jennifer Stange13. April 2012

Das Solarunternehmen Q-Cells hat Insolvenz angemeldet. Der Betriebsratsvorsitzende Uwe Schmorl glaubt trotzdem an die Zukunft der Firma. Das Problem aber ist: Weltweit werden zu viele Solarzellen produziert.

https://p.dw.com/p/14c9u
Vor einigen Jahren noch galten die deutschen Solarhersteller als führend in der Welt heute kämpft die jungen Branchenstars wie Q.Cells ums Überleben.  *** Bilder eingestellt im April 2012
Q.Cells im Solar Valley in Sachsen-AnhaltBild: DW

Das weiße Schild an der Autobahnausfahrt Bitterfeld-Wolfen zwischen Leipzig und Berlin sieht noch aus wie neu. Zwei weitere Wegweiser führen von der Abfahrt zu der imposanten Hauptpforte des "Solar Valley". Unter dem verheißungsvollen Namen auf einer 300 Hektar großen eingezäunten Fläche haben sich in den letzten Jahren nach Q-Cells mehrere Photovoltaik-Produzenten angesiedelt. Die abgerundeten Betonklötze rechts und links der Schranke leuchten noch hellgrau. Auch die weißen Q-Cells-Fahnen vor den drei gläsernen Bürotürmen, die man gleich sieht, wenn man in die Sonnenallee einbiegt, wirken als hätte sie jemand gerade erst aufgehängt.

Trotz der Pleite - überraschend gute Laune

Nichts deutet daraufhin, dass der ehemalige größte Solarzellenhersteller der Welt vergangene Woche (03.04.2012) Insolvenz angemeldet hat. Trotzdem wirkt Uwe Schmorl, Betriebsratsvorsitzender bei Q-Cells fast gut gelaunt. Letzten Mittwoch hat er zusammen mit dem Vorstand die erste Betriebsversammlung nach der Pleite geleitet, auch hier war die Stimmung "überraschend sehr gut", erzählt Schmorl. Über die trockenen Witze des Insolvenzverwalters wurde bereitwillig gelacht und der Vorstandsvorsitzende Nedim Cen habe von den rund 1200 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Sachsen-Anhalt sogar Beifall geerntet, als er sagte, die Pleite habe nichts mit ihrer sensationellen Arbeit zu tun. Die Wolfener und Bitterfelder wissen trotzdem, was es bedeutet, auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig zu sein. Nach dem Ende der DDR wurde die Region zum Sinnbild gescheiterter Planwirtschaft und sozialistischer Umweltverpestung. Die schmutzigen Braunkohlewerke und die maroden Chemiefabriken wurden nach der Wende schnell geschlossen - 50.000 Menschen verloren damals ihren Job. Mehr als die beiden Städte Bitterfeld und Wolfen heute zusammen an Einwohnern haben.

Q.Cells bildet den Kern des Solar Valley des 300 Hektar großen Solar Valley in Sachsen-Anhalt. In insgesamt sieben Firmen arbeiten insgesamt etwa 3000 Beschäftigte  *** Bilder eingestellt im April 2012
Die Einfahrt zum so genannten "Solar Valley"Bild: DW

Solar Valley in Wolfen - hier fand Uwe Schmorl seine Chance

Wie die andern über 10.000 Beschäftigten der Wolfener Filmfabrik wurde der gelernte Schlosser Uwe Schmorl damit 1990 das erste Mal arbeitslos. Ein Jahr später arbeitete er bei einem Glaswollproduzenten, der Ende der 1990er Jahre seine Pforten wieder schließen musste. Vom Fahrrad aus entdeckte Schmorl zufällig auf dem Acker des heutigen Solar Valley ein Schild, das den Bau einer neuen Fabrik ankündigte – ein paar Tage später fuhr er zum Bewerbungsgespräch nach Berlin. Seitdem ist er die Nummer Acht. Jeder Q.Cells Mitarbeiter hat in der Reihenfolge seiner Zugehörigkeit eine Nummer. Er gehörte zu den ersten drei die 2001 von den Q-Cells Gründern Paul Grunow, Holger Feist, Reiner Lemoine und Anton Milner eingestellt wurden. Schmorl wuchs mit dem Unternehmen. Er stellte die Anlagen mit auf, er war dabei, als im Juli 2001 die erste multikristalline Solarzelle vom Band ging, stieg zum Schicht-, später zum Produktionsleiter auf und wurde 2009 zum ersten Betriebsratsvorsitzenden von Q-Cells gewählt. Sechs Wochen nach der Betriebsratsgründung musste er einen Sozialplan für die ersten 500 Entlassungen ausarbeiten; die Finanzkrise hatte Ende 2008 den Höhenflug der Photovoltaik erstmals gebremst und der Wert einer Q-Cells-Aktie rutschte von über achtzig auf unter zwanzig Euro.

Q-Cells Betriebsratsvorsitzender Uwe Schmorl hat das Unternehmen mit aufgebaut und glaubt weiterhin an die Kraft der Sonne. *** Bilder eingestellt im April 2012
Betriebsratsvorsitzender Uwe SchmorlBild: DW

Das Ende der Visionäre

Da war die "Zeit der Visionäre" schon vorbei, weiss Schmorl heute. Die Idee, eine unversiegbare und für Menschen und Umwelt verträgliche Energiequelle in der Breite nutzbar zu machen und damit auch noch Geld zu verdienen, war gelungen. Q-Cells ging 2005 an die Börse, die hohen Kurse spülten Geld in die Kassen des Unternehmens, der Anteilsnehmer und nicht zuletzt der Solar-Pioniere. "Aber ihre Vision war dann weg", erinnert sich Schmorl. Einer der Gründer wollte lieber wieder zurück in die "kleine Forscherbude" der andere zum "Global Player" aufsteigen. Die Euphorie der Gründerjahre ist so allmählich neben Zahlen, Bilanzen, Zuwachserwartungen und Kurseinbrüchen verblasst. Reiner Lemoine verstarb 2006, wenig später gingen Holger Fest und Paul Grunow zurück in die Forschung. Anton Milner, der als letzter Gründer noch im Unternehmen aktiv war, nahm als Vorstandsvorsitzender Anfang 2010 seinen Hut. Zu Schmorl sagte er: "In Zeiten, wo es ums knallharte Überleben geht, braucht ihr jemand anderes." Damals wäre Uwe Schmorl am liebsten auch gegangen, er konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder mit jemandem so gut zusammenarbeiten zu können wie mit Anton Milner. Der überredete ihn aber letztlich, zu bleiben.

Solarfeld bei Bitterfeld: Das Institut für Wirtschaftsforschung in München lobte die Photovoltaik-Industrie als Jobmotor des Ostens. Mit der Photovoltaik war es erstmals nach der Wende gelungen eine Schlüsselindustrie, mit der kompletten Produktionskette, einschließlich der Spitzenforschung zu etablieren.  *** Bilder eingestellt im April 2012
Viele Solaranlagen stehen bereits - momentan werden aber zuviele Solarzellen produziertBild: DW

Retten, was zu retten ist

Seitdem kämpfte er mit Konzernchef Nadim Cem um Q-Cells. Sie verstehen sich gut, aber es ist anders. Schmorl der "Praktiker", der am liebsten etwas aufbaut, sitzt heute in seinem Büro und versucht von hier aus den Betrieb zusammenzuhalten. Das sei er seinen Mitarbeitern und der Region, die Q-Cells soviel gegeben haben schuldig. Ende 2010 sah es so aus, als würde sich der Konzern erholen. Im vergangenen Jahr fuhr Q-Cells wegen des hohen Preisverfalls und plötzlicher Überkapazitäten der Solaranbieter am Weltmarkt dann aber einen Verlust von 846 Millionen Euro ein. Der Umsatz brach um ein Viertel auf rund eine Milliarde Euro ein, die Aktie rutschte zur Jahreswende in bisher ungekannte Tiefen. Ein Schuldenschnitt scheiterte an wenigen Gläubigern; am 3. April schließlich musste das Unternehmen Insolvenz anmelden.

"Es ist heute mehr wie in einer Ehe, in guten wie in schlechten Zeiten: Man verkriecht sich nicht." Uwe Schmorl ist ein Mensch, dem es sogar gelingt, solche Sätze enthusiastisch klingen zu lassen. Bei Q-Cells läuft die Produktion vorerst weiter, die Löhne der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind noch für die nächsten drei Monate gesichert, was danach passiert, weiß aber niemand.

Billig-Solarzellen aus China - nur ein Grund für den Niedergang

Heute gibt es weltweit doppelt so viele Solarfabriken wie gebraucht werden. Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts investierte der chinesische Staat Milliarden in Solarfabriken und die produzieren mittlerweile genauso gut - aber deutlich billiger - als die deutschen Hersteller. Trotzdem schreiben weltweit fast alle, auch chinesische Solarkonzerne, rote Zahlen. In Deutschland sind in vier Monaten die vier größten Solarunternehmen in die Pleite gerutscht, darunter auch die Firma Solon in Berlin, die genau wie Q-Cells aus dem Ingenieurkollektiv Wuseltronik hervorgegangen war. Schmorl will noch in dieser Woche mit dem Betriebsrat von Solon telefonieren "Die haben nach der Insolvenz einen Investor gefunden und machen mit fast der gleichen Mitarbeiterzahl weiter." Schmorl kann sich den plötzlichen Niedergang der Solarindustrie nicht erklären. "Man kann jetzt auch nicht alles auf die Chinesen schieben." sagt er. Einige Analysten nennen das, was gerade passiert "Marktbereinigung". In einem Café in Bitterfeld meint ein älterer Mann, dass sich an der Solarbranche gerade einmal mehr zeige, dass auch eine durch den Markt organisierte Ökonomie eine unglaubliche Verschwendung von Ressourcen und Arbeitskraft im globalen Maßstab provoziert, die im Sozialismus nicht hätte schlimmer sein können. Letztlich spiele die Systemfrage keine Rolle.

Die Arbeitslosenquote in Bitterfeld-Wolfen liegt derzeti bei 14 Prozent. *** Bilder eingestellt im April 2012
Für die Region Bitterfeld-Wolfen ist die Pleite ein ProblemBild: DW