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Putschgerüchte in Washington

Daniel Scheschkewitz2. März 2004

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Dieser pädagogische Leitsatz wird zurzeit wieder einmal gegen die Bush-Regierung erhoben. Vom Exil aus ließ Haitis Ex-Präsident verbreiten, er sei von US-Truppen entführt worden.

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Einst war Jean-Bertrand Aristide der Hoffnungsträger für ein neues, demokratisches Haiti. Der Armenpriester half 1986 den korrupten Familienclan des Diktators Duvalier zu stürzen. Vier Jahre später wurde Aristide der erste demokratisch gewählte Präsident der Karibikinsel, nur um kurzte Zeit später wieder durch einen Militärputsch gestürzt zu werden. 1994 gelang es ihm mit Hilfe von US-Truppen, die Bushs Vorgänger Clinton entsandt hatte, sein Amt zurück zu erlangen. In den zurückliegenden Wochen hatten ihn Rebellen, viele von ihnen frühere Armeeoffiziere, wieder zunehmend in Bedrängnis gebracht.

Aristide habe das Land durch Korruption und Machtmißbrauch herab gewirtschaftet lautete der Vorwurf gegen den Präsidenten, dem sich auch Washington anschloss. Aristide aber sieht sich als Opfer einer Verschwörung zwischen der amerikanischen Regierung und den Armeeoffizieren. Kaum dass er mit Hilfe eines vom US-Außenministerium gecharterten Flugzeuges in der Zentrafrikanischen Republik sein Exil gefunden hatte, griff der Gestürzte zum Handy. In Anrufen bei mehreren farbigen US-Kongressabgeordneten verbreitete er die Version, US-Truppen hätten ihn in der Nacht zum Montag gefangen genommen, unter Hausarrest gestellt und dann gegen seinen erklärten Willen außer Landes gebracht.

Schriftliche Rücktrittserklärung

Die USA stand wieder mal als imperialistischer Buhmann da, die in ihrem Hinterhof ohne Rücksicht auf Demokratie und Menschenrechte aufgeräumt hatte. Zumindest die kalifornische Kongreßabgeordnete Maxine Waters, in den politischen Kreisen Washingtons nicht ohne Ansehen, war durchaus geneigt ihrem "schwarzen Bruder" Aristide Glauben zu schenken und diese Theorie mit zu verbreiten. Im Abstand von Minuten sahen sich Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Bushs Sprecher Scott McClellan genötigt, die Entführungsversion als "absurd", "unsinnig" und "grotesk" zurück zu weisen.

Powell gab minutiös zu Protokoll wie Aristide über den US-Botschafter in Haiti die Amerikaner um Hilfe gebeten hatten, um sich und seine Familie vor den anrückenden Rebellen in Sicherheit zu bringen. Dabei soll Aristide auch seinen eigenen Rücktritt schriftlich quittiert haben. Für den in Misskredit geratenen Präsidenten ein Exilland zu finden stellte sich als schwierig heraus.

Kein US-Alleingang

Südafrikas Regierung lehnte ab, und noch während das Flugzeug mit Aristide in der Luft war, führte das Außenministerium nach Angaben Powells hektische Telefonate, um endlich mit der Zentralafrikanischen Republik ein aufnahmebereites Land zu finden. Aristide reiht sich nun ein in die Reihe jener Politiker, die für die USA vom Paulus zum Saulus mutierten. Von General Noriega in Panama bis zu Saddam Hussein im Irak. Wechselnde Interessen der Supermacht USA besiegelten das Schicksal dieser Diktatoren.

Aristide, der zuletzt wohl zunehmend autokratisch regierte, war zumindest ein demokratisch gewählter Präsident. Vielleicht bewahrte ihn genau dies vor dem sicheren Tod durch die anrückenden Rebellen. Ob die USA ihn dabei gerettet oder gestürzt haben ist letztlich vor allem eine Frage der Perspektive. Pech für Aristide, denn trotz aller nachträglich lancierten Putschgerüchte: in der Haiti-Krise handeln die USA dieses mal nicht allein. Der Weltsicherheitsrat stimmte dem Einsatz einer Friedenstruppe zur Wiederherstellung der Ordnung in Haiti in der Nacht zum Montag zu.