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Putin allein auf weiter (Kreml-)Flur …

Stephan Hille23. Dezember 2003

Vor den Wahlen ist nach den Wahlen. Von den Russen fast unbemerkt, hat in Russland kurz nach den Parlamentswahlen der offizielle Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 14. März begonnen.

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Es dürfte der langweiligste Wahlkampf um das Präsidentenamt in der Geschichte Russlands werden, denn der Sieg Putins, der in aller Bescheidenheit in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Fragestunde seine erneute Kandidatur angekündigt hat, gilt als so sicher wie das Amen in der Kirche. Erst recht nach dem überwältigenden Sieg der Kreml-Partei "Geeintes Russland" bei den Duma-Wahlen vor zwei Wochen. Doch was die Kreml-Strategen eigentlich freuen müsste, bereitet ihnen plötzlich Kopfschmerzen: Außer dem Moskauer Sarg-Fabrikanten German Sterligow will sich bislang niemand finden, bei dem hoffnungslosen Rennen mitzumachen.

Die Kommunisten wie auch die sozial-liberale Oppositionspartei Jabloko werfen dem Kreml Manipulation bei den Parlamentswahlen vor und ziehen sich schmollend vom Spielplatz der "gelenkten" Demokratie zurück. KP-Chef Gennadij Sjuganow denkt laut über einen Boykott der Präsidentschaftswahl nach, während Jabloko bereits beschlossen hat, keinen Kandidaten aufzustellen.

Krawall-Nationalist und Politclown

Wladimir Schirinowski, Politclown und Chef der nationalistischen Liberal-Demokraten, ließ bislang keine Präsidentenwahl aus. Doch jetzt will auch er seine bereits angekündigte Kandidatur überdenken. Plötzlich will er nur noch antreten, wenn auch Sjuganow mitmacht, denn der Krawall-Nationalist braucht einen Gegner, an dem er sich reiben kann, und das kann nicht Putin sondern nur Sjuganow sein. Nur der dröge Kommunistenchef mit dem Charme und Charisma eines Eispickels will offenbar nicht.

Damit hat der Kreml, drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen, ein unerwartet eingetretenes Problem: Eine Wiederwahl Putins ohne veritablen Gegenkandidaten sieht nicht nur unschön aus, sondern ist zumindest im ersten Wahlgang mathematisch problematisch.

Damit die Wahl gültig erklärt werden kann, muss die Wahlbeteiligung im ersten Durchgang oberhalb der 50-Prozentmarke liegen. Doch schon bei den Duma-Wahlen lag die Beteiligung nur bei 55 Prozent. Ohne Gegenkandidaten und in der Erwartung, dass Putin ohnehin gewinnen wird, könnte die Beteiligung am 14. März leicht unter die erforderliche Marke fallen.

Amtsinhaber sucht Kandidaten

Die Kreml-Strategen befinden sich also in einer absurden Situation: Sie müssen weniger für den Sieg des Amtsinhabers kämpfen, als überhaupt Gegenkandidaten zu finden, um das Wahlvolk in knapp hundert Tagen an die Wahlurnen zu bringen. Die Präsidentenadministration braucht dringend einen oder mehrere Kandidaten, die die Stimmen von Kommunisten und Protestwählern an sich binden. Der Sarg-Schreiner Sterligow allerdings dürfte dafür kaum der richtige Mann sein. Eher schon Schirinowski. Der Chef der Liberal-Demokraten ist nicht nur ein Mann der lauten Worte, sondern auch einer, der stets auf den Zuruf des Kremls reagiert hat.

Die Kremlstrategen werden nach der Kritik der OSZE an den Parlamentswahlen alles daran setzen, die Präsidentschaftswahlen so demokratisch wie möglich aussehen lassen; also noch den einen oder anderen Kandidaten aus dem Hut zaubern. Gut möglich, dass sich selbst die Kommunisten noch ködern lassen, ihren Kandidaten zu finden. Damit wird der Wahlkampf wenigstens wieder ein bisschen spannend.