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Pseudowahl bei al-Assad

Kersten Knipp7. Mai 2012

In Syrien fanden am Montag Parlamentswahlen statt. Doch ernsthafte Erwartungen knüpft kaum jemand an sie. Auch die UN-Beobachter lassen die Menschen nicht wirklich hoffen.

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Plakat Baschar al-Assads am Zentralkrankenhaus von Damaskus (Foto: Reuters) ,
Bild: Reuters

In Syrien liefert derzeit nicht einmal die Statistik sichere Ergebnisse. Momentan befinden sich 24 UN-Beobachter im Land. Ihre Anwesenheit hat offenbar zumindest im Ansatz einen Gewalt hemmenden Einfluss. Die Todesrate, erklärt Hivin Kako vom Syrischen Observatorium für Menschenrechte, sei seit der für den 10. April vereinbarten Waffenruhe ein wenig zurückgegangen.

An den nackten Zahlen gemessen ist sie allerdings weiterhin erschreckend: Nach den Berechnungen des Observatoriums starben seit jenem Stichtag knapp 500 Menschen. Zahlen aus Syrien sind derzeit allerdings alles andere als verlässlich. Während das Observatorium von knapp 8000 Toten seit Ausbruch der Unruhen spricht, beziffert der Syrische Nationalrat deren Zahl auf über 14.000.

Welchen Zahlen auch immer man trauen mag: Immer weniger spricht dafür, dass sich das Regime Baschar al-Assads von der Anwesenheit der UN-Beobachter sonderlich beeindrucken lässt. Und so ist es auch alles andere als sicher, dass die Gewalt sonderlich abflachen wird, wenn statt der 24 demnächst vielleicht 200 Friedenswächter im Land sind.

Zerstörte Straßen in Homs (Foto: picture alliance)
Syrischer Waffenstillstand. Szene aus HomsBild: picture-alliance/dpa

Denn auch die syrische Opposition verlässt sich momentan eher auf die eigene militärische Kraft als auf das diplomatische Geschick der UN-Emissäre: Vor wenigen Tagen lockten Deserteure einen Trupp der syrischen Armee in einen Hinterhalt und töteten 22 Soldaten. Wenig später meldete der syrische Journalist und Regimekritiker Fais Sara (62), seine beiden Söhne seien von Bewaffneten aus ihrer Wohnung verschleppt worden. Er könne nicht sagen, ob das Regime ihn persönlich warnen wollte oder die Aktion Teil einer größeren Verhaftungswelle sei.

Parlamentswahlen als Farce

Wenig deutet derzeit daraufhin, dass das Regime ernsthaft bereit ist, dem Sechs-Punkte-Plan des Sondergesandten der UN und der Arabischen Liga, Kofi Annan, zu entsprechen. Darum ist es auch zweifelhaft, ob die am Montag (07.05.2012) abgehaltenen Parlamentswahlen als Ausdruck eines ernsthaften Reformwillens gewertet werden können oder doch zumindest als eine Politik kleinerer Zugeständnisse. Hivin Kako hält die Wahlen für eine Farce. "Wie sollen die Bürger angesichts der fortschreitenden Kämpfe wählen gehen?" Unter den derzeitigen Umständen könne es keine demokratischen Wahlen geben – keine der entsprechenden Voraussetzungen sei erfüllt. Vor allem eine nicht: "Erst muss man die Armee zurück in die Kasernen holen – dann können die Leute in einer angemessenen Umgebung wählen."

Auch Rachid Ouaissa, Politikwissenschaftler an der Universität Marburg, zweifelt am Willen des Regimes, sich auf das Programm des Annan-Plans einzulassen. Geschafft habe es stattdessen etwas anderes: "Es hat der Opposition gewalttätige Reaktionen aufgezwungen. Darin war das Regime äußerst erfolgreich und so kann es anhand kleinerer taktischer Manöver demonstrieren, dass es offen für Gespräche ist." Das Ganze erinnere ihn stark an die iranische Atompolitik. Auch sie zeige sich immer wieder gesprächsbereit – mit dem Ziel, ernsthafte Reaktionen des Auslands zu vermeiden.

Demonstranten protestieren gegen Assad (Foto: Reuters)
Stimmungsbild vor den PräsidentschaftswahlenBild: Reuters

Pragmatischer Kurs vonnöten

Trotzdem: Die UN-Mission sei Syriens einzige Hoffnung, erklärt Kako Hivin. Sie sei die letzte Chance, das Blutvergießen zu stoppen. Das könne aber nur gelingen, wenn die internationale Gemeinschaft den Druck auf das Regime aufrecht erhalte. "Nur dann ist es bereit, seine dauernden Entschuldigungen aufzugeben und den Waffenstillstand wie auch die anderen Punkte des Annan-Plans einzuhalten."

Für den Syrien-Experten Rachid Ouissa kommt es darauf an, der Regierung Assad gegenüber einen möglichst pragmatischen Kurs zu fahren. Einen solchen habe bislang auch die Mission von Kofi Annan verfolgt. "Sie war nicht komplett erfolglos. Denn von dem Moment an, in dem das Regime Annan empfängt, ist schon etwas gewonnen." Zudem habe der Diplomat sehr moderate Forderungen gestellt, wie etwa die nach einem Waffenstillstand. Die könnte das Regime, wenn es denn wollte, durchaus erfüllen. Auf weitergehende Forderungen sollte man hingegen verzichten, empfiehlt der Politologe. "Große Forderungen, etwa die nach einem Wechsel des Regimes, sind derzeit nicht realistisch."

Guter Ruf ruiniert

Geduld empfiehlt sich auch deshalb, weil das Regime immer mehr an Rückhalt verliert. Inzwischen hat die Regierung Assad auch in der Bevölkerung der arabischen Welt ihren einst guten Ruf verloren. Das habe allerdings eine ganze Weile gedauert, schreibt die arabische Tageszeitung "Al Sharq al Ausat". Lange Zeit habe sich das Assad-Regime als arabische Speerspitze gegen die als feindlich empfundene Politik des Westens empfohlen und sich insbesondere aufgrund seiner scharfen Rhetorik gegen Israel starker Sympathien erfreut. Inzwischen habe es sich durch die andauernde Gewalt aber um seine Glaubwürdigkeit gebracht. Von Assad und seiner Regierung erwarteten die meisten Araber nichts mehr. Auch die bisherige rigorose Politik den syrischen Nachbarn, insbesondere dem Libanon gegenüber, erscheine nun in einem anderen Licht, so die Zeitung weiter.

Doch all dies hilft der syrischen Opposition derzeit wenig: Sie sieht sich einem mörderischen Regime gegenüber. Ouaissi hält die Versuchung, zu den Waffen zu greifen, aus Sicht der Opposition für nachvollziehbar. Aber sie berge erhebliche Gefahren: "In dem Moment, in dem die Opposition auf Gewalt setzt, hat sie keine Chance. Das Militär ist ihr in punkto Ausrüstung und Ausbildung deutlich überlegen. Ließe sie sich jetzt zur Gewalt hinreißen, könnte es zu einem Krieg innerhalb der Städte kommen. Den aber könnte nicht einmal die beste Armee der Welt gewinnen." Die Situation erinnere ihn an die in seinem Heimatland Algerien zu Beginn der 90er Jahre. "Damals wurde die FIS, die ’Islamische Heilsfront’, ebenfalls in die Gewalt getrieben. Daraus ergab sich ein Krieg in den Städten, der genau zehn Jahre lang gedauert und 200.000 Menschen das Leben gekostet hat."

UN-Beobachter in Homs (Foto: dapd)
Karger Dialog: UN-Beobachter beim Bad in der MengeBild: AP

Syrer haben kein Vertrauen in Beobachter

Die UN-Beobachter befinden sich in einer schwierigen Situation. Kurzfristige Erfolge lassen sich kaum erzielen. Das Morden geht vorerst weiter. Umso schwerer fällt es den Syrern, der Mission zu vertrauen. Die Gelegenheiten, mit den Beobachtern zu sprechen, seien begrenzt, erklären sie arabischen Zeitungsberichten zufolge; außerdem setzten sie damit ihr Leben aufs Spiel. Denn wer den Zugang zu den UN-Beobachtern suche, riskiere später, vom syrischen Staatsschutz verhaftet oder gar ermordet zu werden. Syriens unmittelbare Zukunft sieht düster aus. Daran werden weder die anstehenden Pseudowahlen etwas ändern noch ein Waffenstillstand, der seinen Namen kaum verdient.