1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kein Job wie jeder andere

Kathrin Erdmann 24. Dezember 2006

Die 400.000 Prostituierten in Deutschland kommen auf einen Umsatz von rund 15 Milliarden Euro. Zwar ist der Beruf völlig legalisiert, doch eine feste Anstellung mit Versicherungsschutz haben trotzdem nur wenige.

https://p.dw.com/p/9aR1
Eine Prostituierte hat zwei 50-Euro-Scheine in ihrem BH stecken
Frau in einem Berliner BordellBild: dpa

Mit Stilettos und in unterschiedlichen Dessous präsentieren sich verschiedene Mädchen in einem Hamburger Bordell ihrem Kunden. Der sitzt derweil in einem mit rotem Samt bezogenen Sessel mit goldenen Armlehnen. Im Fernsehen laufen Musikvideos. Bis ein neuer Kunde kommt warten die anderen Mädchen in einem Hinterzimmer. Sie haben sich auf die drei Sofas verteilt, auf dem Couchtisch stehen volle Aschenbecher, liegen Chipstüten und Kekse.

Die Bordellgasse Herbertstraße in Hamburg (Foto: dpa)
Die Bordellgasse Herbertstraße in HamburgBild: dpa

Natascha hat sich eine Decke umgelegt. Die 18-jährige stammt aus Russland und schafft seit drei Monaten an. Nachdem sie die Schule abgebrochen hatte, hat sie jahrelang nichts gemacht. "Ich dachte, ich probier es mal aus und es hat mir irgendwie gefallen. Dann habe ich mir gedacht, vielleicht bleibe ich etwas länger hier", sagt sie und zieht an ihrer Zigarette. Sechs Tage die Woche ist sie im Einsatz.

So viel wie Natascha muss Chantal nicht arbeiten. Die 28-Jährige ist sozusagen eine Teilzeitprostituierte. Ihr hauptsächliches Einkommen erzielt sie in einem ganz normalen Job. Eigentlich auch so viel, dass es für sie und ihren Sohn reichen würde: "Ich bin finanziell auf diese Arbeit hier nicht angewiesen. Es ist ein Plus, etwas Zusätzliches." Chantal kommt nur ins Bordell, wenn sie Lust und Zeit hat.

"Ich bezahle meine eigene Versicherung"

Ob Teilzeit- oder Ganztagsprostituierte, keine der 22 Frauen ist hier fest angestellt. Aus Sicht von Bordell-Chefin Doris, die selbst jahrelang angeschafft hat, interessiere das viele Prostituierte auch gar nicht: "Die meisten Damen heute arbeiten nur ein oder anderthalb Jahre in diesem Gewerbe. Sie möchten gar nicht, dass es auf dem Papier nachvollzogen werden kann, was sie machen." Dementsprechend haben sich auch die wenigstens der hier arbeitenden Frauen als Prostituierte kranken- und rentenversichert.

Eine Ausnahme ist Tamara. Die 23-jährige sagt, ihr Hobby sei immer Sex gewesen und das habe sie jetzt eben zum Beruf gemacht und sich entschlossen, ihren Beruf Sexarbeiterin auch so bei allen Ämtern anzugeben. Ein bisschen komisch hätte man sie schon angeguckt, aber sie sei trotzdem ehrlich: "Ich bekomme nichts vom Staat, ich bekomme weder Sozialhilfe, noch Arbeitslosengeld. Ich bezahle meine eigene Versicherung." Und außerdem legt sie regelmäßig Geld für später zurück. Das sei das Wichtigste überhaupt, sagt Tamara.

Viele Frauen halten ihren Beruf für unanständig

Vor drei Jahren wollte die Politik Prostituierte per Gesetz zu ganz normalen Arbeitnehmerinnen machen. Die Frauen sollten wie Angestellte beschäftigt werden können, also einen Anspruch auf Urlaubsgeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben. Ein Angebot, das nach einer Umfrage der Hamburger Sozialwissenschaftlerin Emilja Mitrovic für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, kaum wahrgenommen wurde. Das liege auch daran, dass viele Prostituierte ständig die Städte wechseln und in unterschiedlichen Bereichen arbeiten: "Es gibt einige, die fest angestellt sind. Die sind zum Teil schon länger im Geschäft und wollen renten- und sozialversichert sein", sagt Emilja Mitrovic.

Eine genaue Zahl gibt es allerdings nicht. Der Grund ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihre Mitglieder nur grob nach Berufsgruppen, nicht aber nach einzelnen Berufen, aufschlüsseln. Die meisten Prostituierten dürften sich hinter der Nummer 913 verbergen, in dem Jobs aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe zusammengefasst sind.

Bei der privaten Krankenversicherung DKV gibt es nach eigenen Angaben Frauen, die sich als Prostituierte versichert haben, konkrete Zahlen will der Mitarbeiter aus wettbewerbsrechtlichen Gründen jedoch nicht nennen. Emilja Mitrovic kennt noch einen weiteren Grund, warum Versicherungen keine Zahlen nennen: "Es scheint so zu sein, dass viele Versicherungen Angst vor einem schlechten Ruf haben." Aber auch die Frauen selbst seien immer noch der Meinung, ihr Beruf sei unanständig, so Mitrovic.

Prostituierte sind schwer zu vermitteln

Das Logo der Agentur für Arbeit in Hamburg (Foto: dpa)
Prostituierte haben bei der Agentur für Arbeit eine AnsprechpartnerinBild: dpa - Bildfunk

Die bundesweite Ansprechpartnerin für Prostitution und Gleichstellungsbeauftragte der Agentur für Arbeit in Hamburg ist Mechthild Pingler. Theoretisch könnte eine Sexarbeiterin einen Existenzgründerzuschuss beantragen, sagt sie, praktisch erfülle jedoch keine die Voraussetzungen dafür. Ebenso gering sind die Chancen durch die staatliche Arbeitsvermittlung an eine neue Stelle zu kommen. Dass das Arbeitsamt niemanden in die Prostitution vermittelt, findet Pingler besonders in Bezug auf Hartz IV wichtig: "Da heißt es: Jede Stelle, die nicht sittenwidrig ist, ist zumutbar. Wenn man die Regelung nicht hätte, würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass die Arbeitslosen Schwierigkeiten bekommen würden, wenn sie eine Stelle als Prostituierte nicht annehmen würden."

Seit 15 Jahren hat Mechthild Pingler mit Prostituierten zu tun. Kaum eine habe in dieser Zeit an einer Umschulung teilgenommen und bundesweit gebe es auch nur noch ein Ausstiegsprogramm. Insgesamt seien diese Frauen schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da sie sich weit von den üblichen Arbeitsprozessen entfernt hätten: "Die Prostituierten haben zwar auch ihr Arbeitspensum gehabt und sehr kontinuierlich gearbeitet, aber ihre Tätigkeit ist nicht mit einem normalen Arbeitsplatz zu vergleichen, wo man um sieben oder um acht sein und bis 16 oder 17 Uhr durcharbeiten muss."