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Prokop: "Sportlern wird viel zugemutet"

Andreas Sten-Ziemons25. August 2015

Kann es eine dopingfreie Leichtathletik geben? Welche Maßnahmen sind notwendig? Im DW-Interview spricht DLV-Präsident Clemens Prokop über den Kampf gegen Doping und sein Verständnis für den Frust einiger Sportler.

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Deutschland Clemens Prokop Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

DW: Herr Prokop, seit einigen Tagen läuft die Leichtathletik-WM in Peking. Wie gefallen Ihnen die Wettbewerbe und was waren bislang Ihre Highlights?

Clemens Prokop: Natürlich hat mir besonders das Kugelstoßen der Frauen gefallen, wo wir mit Christina Schwanitz eine Weltmeisterin gestellt haben. Aber auch der Stabhochsprung-Wettbewerb der Männer war unglaublich spannend und aus deutscher Sicht ja auch sehr erfolgreich. [Anm. d. Red.: Raphael Holzdeppe holte Silber]

Ein besonderes Highlight war sicherlich auch das 100-Meter-Finale am Sonntag: Dabei standen neben dem späteren Sieger Usain Bolt mit Justin Gatlin, Tyson Gay, Asafa Powell und Mike Rodgers vier ehemalige Doper am Start. Mit welchen Gefühlen beobachten Sie so ein Rennen?

Natürlich liegt ein Schatten über dem Finale, wenn so eine große Zahl von bereits doping-geahndeten Sportlern am Start ist. Auf der anderen Seite gestattet das Regelwerk ihnen die erneute Teilnahme und dann ist es eben so.

Der deutsche Diskus-Olympiasieger Robert Harting hat vor einigen Tagen gefordert, ehemalige Doper sollten mit roten Startnummern markiert werden, damit die Zuschauer gleich wissen: Der hat schon mal betrogen. Was ist von so einem Vorschlag zu halten?

Diesen Vorschlag halte ich unter juristischen Gesichtspunkten für ein bisschen problematisch, weil die Athleten, die eine Dopingsperre verbüßt haben, ja regelkonform am Wettkampf teilnehmen. Und Wettkampf bedeutet dann nach unserem Regelwerk auch, dass gleiche Bedingungen für alle gelten und keine Stigmatisierungen vorgenommen werden.

Leichtathletik EM Zürich 2014 Robert Harting beim Diskuswerfen (Foto: EPA/ENNIO LEANZA)
Harte Forderungen: Robert HartingBild: picture-alliance/dpa

Können Sie denn den Frust von Robert Harting verstehen?

Natürlich verstehe ich den Frust von Robert Harting, und ich selbst bin ja auch darüber frustriert, vor allem, wenn sich in bestimmten Disziplinen Dopingsünder so häufen. Auf der anderen Seite lebt der Sport aber auch vom Einhalten des Regelwerks - gerade auch in den Fällen, wo sich andere vorher nicht daran gehalten haben. Und ich glaube, wenn wir einheitliche Bedingungen im Sport einhalten wollen, dann müssen wir dieses Regelwerk konsequent umsetzen, auch wenn es manchmal nicht so ganz leicht ist.

Sie selbst haben vor einigen Tagen in einem anderen Interview gesagt, man müsse versuchen, das "Gespenst Doping so weit zurückzudrängen, dass es sich nicht entscheidend auf Ergebnisse im Wettkampf auswirken kann". Kann man das überhaupt schaffen? Und wenn ja, wie?

Es ist natürlich eine große Herausforderung, Doping im Sport wirklich zu bekämpfen. Ob es jemals gelingen wird, Doping komplett auszumerzen, da bin ich selbst skeptisch. Aber ich glaube, wir können den Kampf gegen Doping noch verbessern und damit die Ergebnisse insgesamt noch glaubwürdiger machen. Um das zu erreichen, müssen wir sowohl die Ursachen wirksam bekämpfen als auch die Kontrollsysteme. Bei den Ursachen hat sich immer wieder bei überführten Sportlern gezeigt, dass die existenzielle und wirtschaftliche Abhängigkeit vom sportlichen Erfolg eine der großen Ursachen war, weshalb Dopingmittel genommen wurden, weil der sportliche Erfolg eben um jeden Preis erreicht werden muss.

Wir haben in Deutschland mit der dualen Karriere, indem wir Sportler dazu motivieren, neben der sportlichen Laufbahn auch eine berufliche Qualifizierung anzugehen, ein ganz gutes Modell entwickelt, wo diese existenzielle Abhängigkeit von sportlichen Erfolgen nicht so besteht, weil es ein zweites Standbein gibt. Bei den Kontrollsystemen zeigt sich immer mehr, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um weltweit einheitliche Standards zu erreichen und dann gegebenenfalls gegen Länder, die diesen Standards nicht gerecht werden, Maßnahmen zu ergreifen.

Was wären solche Maßnahmen beispielsweise?

Das kann bei Hilfestellungen beginnen, indem wir Ländern, die damit überfordert sind, funktionierende Dopingkontrollsysteme aufzubauen, durch den Weltverband Hilfe leisten. Es kann aber bei anderen Ländern, die scheinbar kein Interesse an solchen Maßnahmen haben, bis hin zu Ausschluss oder andere Sanktionen gehen.

Sebastian Coe, zweimaliger Olympiasieger und ehemaliger Mittelstreckenläufer, ist der neue Präsident des Weltverbandes. Welche Hoffnungen setzen Sie in ihn?

Sebastian Coe hat in seinem Wahlkampfprogramm den Kampf um die Glaubwürdigkeit der sportlichen Leistungen und den Kampf gegen Doping ganz in den Vordergrund gestellt. Ich hoffe, dass er diese Themen nun umsetzt. Und ich hoffe, dass er alle Anstrengungen unternehmen wird, um alle Belastungen der Glaubwürdigkeit, die in der Vergangenheit aufgetreten sind, mit aller Macht zu beseitigen.

Sebastian Coe (Foto: Andrew Redington/Getty Images)
Neuer IAAF-Präsident: Sebastian CoeBild: Getty Images/A. Redington

Sie selbst hätten dabei gerne in aktiver Rolle mitgeholfen, sind vergangene Woche aber nicht in das IAAF-Council gewählt worden, in die sogenannte Weltregierung der Leichtathletik. Wie sehr ärgert Sie das, und wie können Sie als Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes dennoch dabei mithelfen, diese Ziele umzusetzen?

Natürlich ist es ärgerlich, dass es mit der Wahl nicht geklappt hat. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie wir als durchaus einflussreicher Verband in der Welt-Leichtathletik versuchen können, die Sportpolitik zu beeinflussen. Und letztlich habe ich auch seit vielen Jahren einen sehr engen, persönlichen Draht zu "Seb" Coe, sodass ich glaube, dass auch dieser kurze Draht die jetzige Situation deutlich verbessert im Vergleich zu vorher.

Glauben Sie an das Gerücht, Sie hätten die nötigen Stimmen auch deshalb verfehlt, weil es in den letzten Wochen und Monaten unbequeme Enthüllungen von deutschen Sportjournalisten über die Dopingpraktiken in der Leichtathletik gegeben hat?

(lacht) Ich habe keine Ahnung, weil ich beim Wahlvorgang selbst nicht in die Köpfe der Delegierten hineinschauen konnte. Tatsache ist, dass einige Delegierte mir gegenüber schon sehr kritisch auf die Berichterstattung aus Deutschland reagiert haben. Aber ich kann betonen, dass ich stolz darauf bin, in einem Land zu leben, in dem wir eine so starke und engagierte Medienlandschaft haben, dass Themen schonungslos aufgegriffen werden.

Sie selbst sind genau wie Sebastian Coe ehemaliger Leichtathlet: Würden Sie heute noch gerne aktiv sein, wenn man in Betracht zieht, dass es ein Dopingmeldesystem gibt, bei dem man drei Monate im Voraus angeben muss, wo man sich aufhalten wird, damit überraschend Dopingfahnder zu Besuch kommen können und wo man ja fast nur dann als sauber gilt, wenn man sein Blutprofil öffentlich macht?

In der Tat wird Sportlern - jedenfalls in Deutschland - sehr viel zugemutet, damit sie an den Start gehen können. Auf der anderen Seite ist der Kampf in einem fairen Wettkampf so hoch anzusiedeln, dass ich, glaube ich, schon bereit wäre, auch diese Einschränkungen letztlich mit Freude hinzunehmen, weil ich weiß, es dient dem höheren Zweck, nämlich dem Zweck, dass ich dann möglichst nur gegen Konkurrenten antrete, die ihre Leistung auch glaubwürdig erbringen. Also ich glaube, so lange es keine bessere Alternative gibt, würden von mir diese Einschränkungen genauso akzeptiert werden, wie sie heute eigentlich von allen Sportlern auch eingehalten werden.

Hinweisschild für die Doping-Kontrolle in Peking (Foto: Gero Breloer/dpa)
Wie effektiv sind die Dopingkontrollen?Bild: picture alliance/dpa/G. Breloer

Wie viel Spaß macht es Ihnen denn zurzeit, Sportfunktionär zu sein? Können Sie die Leichtathletik, trotz all der besprochenen Widrigkeiten, noch genießen?

Das macht natürlich Spaß, und ich finde die Leichtathletik eine der faszinierenden Sportarten, weil hier der unmittelbare Vergleich der Leistungen beim Menschen stattfindet. Als ehemaliger Athlet weiß ich, dass eine Leistung, wie sie hier bei den Weltmeisterschaften erbracht wird, einen jahrelangen Vorlauf hat, einen Vorlauf, der mit Entbehrungen und vielen Maßnahmen verbunden ist, die eine langfristige Zielverfolgung mit sich bringt. Ich bin immer wieder begeistert, diese tollen Leistungen zu sehen.

Der Jurist und ehemalige Leichtathlet Clemens Prokop, Jahrgang 1957, ist seit 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Seine Doktorarbeit schrieb er zum Thema "Die Grenzen der Dopingverbote". Für sein Engagement im Sport, insbesondere im Kampf gegen Doping, wurde er im November 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Das Interview führte Andreas Sten-Ziemons