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"Projekt Imperium begeistert die Russen"

Efim Schuhmann3. Februar 2016

Seit der Annexion der Krim herrscht in Russland patriotische Hochstimmung - doch das könne sich schnell ändern, meint der Russland-Experte und Autor Ulrich Schmid. Der Kreml nutze Sehnsüchte nach imperialer Größe aus.

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Russlands Präsident Wladimir Putin am Tag der nationalen Einheit (Foto: picture-alliance/dpa/M. Metzel/TASS)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Metzel/TASS

Deutsche Welle: Herr Professor Schmid, in Ihrem neuen Buch "Technologien der Seele" beschreiben Sie drei Säulen der russischen Staatsideologie: Neoimperialismus, religiöse Legitimation durch die Russische Orthodoxe Kirche und Eurasismus als geopolitische Begründung. Was meinen Sie mit Neoimperialismus? Doch nicht nur die Aggression gegen die Ukraine?

Ulrich Schmid: Natürlich nicht. Neoimperialismus bezieht sich auf ein Konzept, das in der russischen Gegenwartskultur sehr stark eingespielt wird: das Imperium. In meinem Buch habe ich versucht zu zeigen, wie dieses Konzept bereits in den 2000er Jahren in den konservativen Kreisen hochgekommen ist und anschließend auch von den Polittechnologen des Kremls aufgegriffen und verstärkt worden ist. Viele Vertreter der Elite in Russland versuchen heute, die Daseinsberechtigung Russlands in der Zukunft auf das Konzept dieses Imperiums zu stützen. Ich habe zum Beispiel den Direktor eines regierungsnahen Instituts für strategische Studien zitiert, der gesagt hat, was die Berechtigung für den russischen Staat ist. Allein die Sicherung des Wohlstands der Bevölkerung könne das nicht sein. So eine Legitimation eines Staates könne in den Niederlanden oder Estland funktionieren, aber nicht in Russland mit seiner imperialen Geschichte.

Welche Rolle spielt dabei der russische Nationalismus? In der Russischen Föderation leben eigentlich verschiedene Völker.

Der russische Nationalismus spielt natürlich eine Rolle bei der Begründung dieses Imperiums. Ich würde aber sagen, dass wir im Moment eher eine geopolitische und nicht eine rein russisch-nationalistische Begründung dieses Imperiums haben. In der offiziellen Terminologie dieser neuen Staatsideologie wird oft von Russland als einer einzigartigen Zivilisation mit einem genuin russisch-nationalen Kulturkern gesprochen. Das sieht man auch an offiziellen Dokumenten, wie der neuen nationalen Sicherheitsstrategie, die Präsident Putin am letzten Tag des vergangenen Jahres vorgestellt hat. Dort spielt die Kultur eine ganz wichtige Rolle. Sie ist heute offiziell Teil der nationalen Sicherheitsstrategie Russlands.

Spielt der Titel Ihres Buches auf Stalin an, der Schriftsteller "Ingenieure der menschlichen Seele" genannt hatte?

Ich bin froh, dass Sie mich auf den Titel meines Buches ansprechen, denn er ist natürlich ein verstecktes Programm. Der Titel spielt nicht nur auf Stalins Diktum der Sowjet-Schriftsteller als "Ingenieure der menschlichen Seele" an, sondern auch auf Michel Foucault. Er hat definiert, dass die Macht etwas ist, was nicht von oben kommt, also nicht von den Eliten des heutigen russischen Kulturbetriebs, die über Budgets und Kredite entscheiden. Foucault hat einmal gesagt, die Macht ist etwas, was von unten kommt. Gerade Schriftsteller haben im Stalinismus nicht nur einfach Befehle von oben ausgeführt, sondern versucht, sich in dieses große imperiale Projekt einzubringen, das sie auch oft fasziniert hat. Es wäre zu einfach, das nur als Ausdruck von Repression zu erklären. Genauso, glaube ich, dass auch heute vielen konservativen Schriftstellern das Erstarken des russischen Staates gefällt. Sie führen nicht irgendeinen Auftrag aus dem Kulturministerium aus, sondern sind selber davon überzeugt, dass das, was sie schreiben, einer wichtigen Wahrheit entspricht. Man kann heute nicht einfach von den Schriftstellern als Ausführungsgehilfen des Staates sprechen, sondern sie bringen sich selber in dieses große nationale neoimperiale Projekt Russlands ein.

Professor Ulrich Schmid (Foto: Ulrich Schmid)
Ulrich Schmid: Vielen konservativen Schriftstellern gefällt das Erstarken des russischen StaatesBild: privat

Sie zitieren in Ihrem Buch einige Experten, die Russland als eine postmoderne Diktatur bezeichnen.

Russland ist keine Diktatur im klassischen Sinn, aber möglicherweise eine postmoderne Diktatur, die es geschafft hat, die große Mehrheit der Bevölkerung, die berühmten 86 Prozent, auf die Seite der Regierung zu ziehen. Also eine Diktatur mit Einverständnis der Beherrschten. Sehr viele Leute sind mit dem autoritären Kurs der Regierung einverstanden.

Die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch spricht von einem "kollektiven Putin". Stimmen Sie ihr zu?

Putins Einfluss wird generell überschätzt. Man kann nicht sagen, dass Russland ein "kollektiver Putin" ist. In meinem Buch versuche ich die patriotische Hochstimmung zu erklären, die Russland vor allem seit der Annexion der Krim ergriffen hat. Ich glaube, dass diese patriotische Begeisterung nicht einfach aus dem Nichts kommt, sondern so etwas wie eine Verstärkung und Radikalisierung von patriotischen Stimmungen darstellt, die wir schon seit etwa zehn Jahren in Russland beobachten können.

Ihnen zufolge leidet die russische Gesellschaft an einem Realitätsverlust. Kann sich das wieder ändern?

Die Propaganda ist seit zwei Jahren so stark wie sie es seit Sowjetzeiten nicht mehr war. Wir haben in Russland heute nicht nur einen Kampf um Einfluss, sondern auch um Wahrheiten. In meinem Buch habe ich versucht, Gegenbewegungen zu diesem Realitätsverlust als Folge der Propaganda vorzustellen. Ich glaube, dass diese patriotische Begeisterung, die vor zwei Jahren sehr stark angestiegen ist, auch schnell wieder verschwinden kann. Wir haben in Russland eine ausreichend entwickelte kritische Kultur.

Ulrich Schmid ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen. Sein Buch "Technologien der Seele. Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur" ist im Suhrkamp-Verlag erschienen.

Das Gespräch führte Efim Schuhmann.