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Produktive Verstörung: Bilder und Filme zum fünften Gebot

31. Oktober 2015

Die Reformation hat das Wort der Bibel stark betont. Aber ohne Bilder wäre sie nie erfolgreich gewesen. Die evangelische Kirche beschäftigt sich bis heute mit Bildern. Zum Reformationstag berichtet Gunnar Lammert-Türk.

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Ulrich Wüsts Leporello "Toter Raum"
Ulrich Wüsts Leporello "Toter Raum"Bild: Frizzi Krella

„Himmelverbot“
Gavriel Hrieb hat einen Doppelmord begangen. Das war 1999 und der Rumäne wurde dafür zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Vorzeitig nach einundzwanzig Jahren Haft entlassen, versucht er, neu Fuß zu fassen. Doch seine Tat ist ihm im Weg. Als Hürde bei der Arbeitssuche oder als die Nachbarn ihn aus ihrer Gegend vertreiben wollen. Aber auch subtiler. So weint seine Frau Dana, die seinetwegen aus Frankreich zurückgekehrt ist, als er ihr weiße Rosen schenkt und antwortet auf seine Frage, was sie bedrücken würde: „Damals waren es auch weiße Rosen und dann bist Du ins Gefängnis gekommen.“ Es ist eine nicht zu tilgende Leere, eine tief sitzende seelische Verlorenheit, die der Mord hinterlassen hat. Sie erinnert an die bittere Lebensbilanz des Mörders Raskolnikow in Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“, wenn er sagt: „Mich habe ich ermordet für alle Ewigkeit.“
Das ist die Geschichte von „Himmelverbot“, einem Film des jüdisch-rumänischen Dokumentarfilmers Andrei Schwarz. „Himmelverbot“ hat den diesjährigen DEKALOG-Filmwettbewerb gewonnen. Dieter Kosslick, der Berlinale-Chef, begrüßte die Gäste zur Auszeichnung.

An Gewalt darf man sich nicht gewöhnen
Das Projekt DEKALOG HEUTE beschäftigt sich seit 2013 mit den zehn Geboten in Luthers Lesart, über Bilder, bewegte und unbewegte. Inspiriert von der zehnteiligen Verfilmung „Dekalog“ des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieślowski, fragt die Ausstellungs- und Veranstaltungsfolge der evangelischen Stiftung St. Matthäus und der katholischen Guardini Stiftung in Berlin bis zum Reformationsjubiläum 2017 nach dem Sinngehalt der Lutherschen Ausdeutung des Dekalogs für die heutige Zeit.

Dieter Kosslick bei der Auszeichnung des Filmes „Himmelsverbot“
Dieter Kosslick bei der Auszeichnung des Filmes „Himmelsverbot“Bild: Frizzi Krella

Diesmal also das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten. Neben dem Film zeigte eine Ausstellung am Askanischen Platz in Berlin einen, wie es die Kunsthistorikerin Frizzi Krella ausdrückt, „Assoziations- und Denkraum“, der dazu anrege, „Defizite in Bezug auf die Gebote zu benennen.“ Die sind bei „Du sollst nicht töten“ mehr als offensichtlich. Als Ausdruck der Ohnmacht gegenüber den aktuellen Gewaltwellen waren die Räume der Galerie nur karg ausgestattet, viel freier Raum und nackte Wand begrüßte die Besucher. Denn in den Medien ist die Gewalt so oft ein Teil der großen Bilderwelt, dass wir uns leicht an sie gewöhnen, und das wollte die Ausstellung verhindern.

Dass Gewöhnung an Gewalt von staatlicher Seite gezielt angestrebt werden kann, um das eigene Volk bereit zu machen, den Gegner zu vernichten, veranschaulichte eine Arbeit des Berliner Fotografen Ulrich Wüst. Er hat die Bebilderung eines Unterrichtsmaterials für die Wehrerziehung an den Schulen der DDR abfotografiert und daraus einen Leporello gemacht. Die schlichten, fast kindlichen Bilder und die manches Mal unfreiwillig komisch wirkenden kurzen Erläuterungen dazu banalisieren und bagatellisieren das, worum es geht: eine möglichst effiziente Vernichtung des Feindes.

Gebote schützen Opfer und Täter
All das steht in schreiendem Gegensatz zu dem, was Luther in seinem Großen Katechismus zum fünften Gebot ausführt, wenn es dort heißt, „dass man nicht töten soll, weder mit Hand, Herz, Mund, Zeichen und Gebärden noch durch Beihilfe und Rat“, dass dieses Gebot sich vornehmlich auf die Feindesliebe bezieht und Gott mit seiner Hilfe „uns helfen, beistehen und schützen wolle, auf dass er die Lust unterdrücke, uns selbst zu rächen.“ In diesen Sätzen Luthers wird deutlich: das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist nicht nur ein Schutz für die Opfer und nicht nur im Blick auf ihr das Leid gesagt, sondern auch auf das Elend der Täter bezogen.

Das DEKALOG-Projekt weist auch auf diesen Aspekt des fünften Gebotes hin. Mit seinen Ausstellungen und Filmen sorgt es für eine Art produktive Verstörung, um die Sprengkraft und die Relevanz der Gebote im modernen Kontext zu verdeutlichen – wie Luther vor knapp 500 Jahren die Gebote für seine Zeit erklärt hat.

Gunnar Lammert-Türk,
Gunnar Lammert-Türk, BerlinBild: rundfunk.evangelisch.de

Zum Autor: Gunnar Lammert-Türk (Jahrgang 1959) ist freischaffender Journalist und Autor. Er wurde in Leipzig geboren und studierte Germanistik und Evangelische Theologie in Berlin. Nach dem Studium organisierte er Projekte einer Arbeitsfördergesellschaft, die aussortierte Technik für Hilfsprojekte in Osteuropa und der Dritten Welt regenerierte. Es folgte die Leitung einer Beratungsstelle für Russlanddeutsche. Darauf war er Autor und Redakteur in der Medienfirma Greenlight. Seit 2003 ist er als freier Journalist und Autor tätig. Von 2004 bis 2007 führte er mit einem Musiker und einem Zauberer Musiktheatershows für Kinder auf. Er verfasst Rundfunkbeiträge, schreibt Texte für Audioführer und Kinderlieder. Veröffentlichungen im Boje Verlag, Schneider Verlag, Xenos Verlag und im Deutschen Theater Verlag.

Kirchliche Verantwortung: Pfarrer Christian Engels