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26. September 2011

DW-Korrespondentin Bettina Kolb reiste nach Arbil im Irak und begleitete das National Youth Orchestra of Iraq während seiner Proben vor dem Auftritt beim Beethovenfest. Hier der erste Teil ihrer Eindrücke vor Ort.

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Das National Youth Orchestra Iraq
Bild: Tariq Hassoon

Das erste, was ich vom Irak sehe, sind kahle Berge, durchzogen von mäandernden Flusstälern. Und dann ein majestätischer Strom: der Tigris. Ich überfliege Mesopotamien, das Zweistromland und die Wiege der Zivilisation. Die Berge fallen in eine Ebene ab, sandfarbene Erde überall, aufgerissen von der Hitze. Dazwischen kreisförmige, grüne Felder.

Und dann Arbil - hineingebaut mitten in die Wüste. Fast viereinhalbtausend Jahre soll die Stadt alt sein; damit ist sie eine der ältesten, durchgehend besiedelten Städte in der Menschheitsgeschichte. Hier werde ich die nächste Woche verbringen, zusammen mit dem National Youth Orchestra of Iraq.  Das "NYOI" ist  eine einzigartige Initiative, die in einem konfliktgeladenen Land wie  Irak eigentlich unmöglich erscheint. Ich kann es kaum erwarten zu sehen und zu hören, was diese jungen Iraker bewegen können.

Hoffnungsträger und Botschafter
 
Untergebracht sind wir in einem Hotel am Stadtrand von Arbil. Draußen flirrt die Luft bei 38 Grad Celsius. Drinnen schallt Musik durch die stickend heißen Flure: aus Raum 210 Klarinette, aus Raum 216 Trompete, und im großen Probensaal tönt ein Horn. Die Mitglieder des Jugendorchesters arbeiten mit ihren Tutoren aus Deutschland, Schottland und den USA im Einzelunterricht an Feinheiten für ihr Instrument.

Die Sonne über Arbil
Lange und heiße Tage in ArbilBild: Tariq Hassoon

Seit einer Woche sind die 43 Musiker und ihre 12 Tutoren aus Europa und den USA schon hier. Auch Paul MacAlindin, der musikalische Direktor und Dirigent des Orchesters. Zum ersten Mal spielen die jungen Leute, alle zwischen 16 und 28 Jahren, zusammen. Sie kommen aus dem ganzen Irak, aus Bagdad, Sulaimaniya und Arbil. Araber, Kurden, Sunniten, Schiiten, Christen - sie alle verbindet die Liebe zur Musik. Politik und Glaubensgegensätze haben sie hinter sich gelassen. Sie sind die Hoffnung für dieses Land und seine besten Botschafter. Und das, obwohl keiner es ihnen leicht macht.

Klassische Musik gilt als dekadent

Musikunterricht im Irak, das ist keine einfache Sache. Westliche Musik wurde und wird hier nicht besonders gefördert. In Bagdad kann es sogar gefährlich sein, mit einem Instrument auf der Straße gesehen zu werden. Konservative Kräfte lehnen klassische Musik rigoros ab - für sie ist sie schlicht ein Zeichen westlicher Dekadenz. Doch die jungen Musiker finden im gemeinsamen Spiel eine Sprache, die sich über alle Gegensätze hinweg hebt. Eine Sprache, die Brücken baut in einem Land, das von Diktatur, Kriegen und Bürgerkriegen zerrissen ist.

Die meisten Musiklehrer haben das Land nach 2003 verlassen. Noten oder gar Instrumente zu finden ist schwierig. Viele junge Musiker bringen sich ihr Instrument selbst bei. Deshalb üben die Tutoren in der Zeit zwischen den gemeinsamen Sommerschulen mit den Orchestermitgliedern im Fernunterricht. Übungseinheiten per Skype und YouTube, zwischen Bagdad und Manchester, Arbil und New York.

Proben für die erste Premiere

Ein Geiger aus dem NYOI
Fleißig beim ProbenBild: Tariq Hassoon

Mein erster Morgen mit dem Orchester, für die Teilnehmer ist es schon der siebte Probentag. Er beginnt nicht mit Beethoven, sondern mit einem afrikanischen Volkslied. Eine Aufwärmübung, zu der alle singend, klatschend und stampfend im Kreis marschieren. Dann werden die Instrumente gestimmt, und Dirigent Paul MacAlindin lässt an diesem Morgen Haydn erklingen, die Symphonie Nr. 104. Aufgeregt werden die letzten Saiten gespannt, konzentriert die Noten studiert, der Nebenmann schnell noch gefragt, welcher Takt gespielt wird.

Erst seit sieben Tagen probt das Orchester gemeinsam und für viele ist es das erste Mal überhaupt. Die Zeit fliegt, bereits am Donnerstag, den 15. September, werden sie ihre erste Premiere feiern, bei einem großen und lang erwarteten Konzert in Arbil. Die Noten sitzen, aber der Rhythmus einiger Passagen stimmt noch nicht. Der Dirigent schwitzt, wohl nicht nur wegen der Hitze. "Gestern Abend hat das mit dem Rhythmus doch auch so gut geklappt", scherzt er. Da haben einige der Jugendlichen auf traditionellen kurdischen Instrumenten den lokalen Sound gespielt - und den haben sie natürlich im Blut.

Beethoven auf YouTube

Klassische Musik - die hören sie auf YouTube oder auf ihrem iPhone, aber sie ist nicht alltäglich. Schlagzeuger Mohammed soll den Rhythmus vorgeben und kommt aus dem Takt. Sein Tutor Dave aus London redet beruhigend auf ihn ein. Ein langer Probentag liegt vor dem Orchester - acht Stunden. Beethoven wird gespielt und die beiden Kompositionen irakischer Komponisten, die die Deutsche Welle für's Beethovenfest in Auftrag gegeben hat. Am Ende des Tages reibt sich Dirigent Paul MacAlindin die Augen: "Manche Passagen klingen so wunderschön, einige gehen daneben. Aber ich weiß einfach nicht, ob mein Orchester das wahrnimmt, wenn sie schön und kraftvoll spielen. Ob sie den Unterschied hören?" Es ist noch nicht alles perfekt. Aber alle sind hoch motiviert. Selbst nach Mitternacht liegt noch Beethoven in der Luft - die Musiker üben in ihren Zimmern weiter auf ihren Instrumenten.

Autorin: Bettina Kolb
Redaktion: Marita Berg/ suc