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Privatisierung setzt Brasiliens Regierung unter Druck

Jan D. Walter16. Dezember 2013

Erdölfelder, Flughäfen und Straßen - Brasiliens Regierung öffnet immer mehr privaten Investoren die Türen. Bei ihren Wählern kommt das nicht gut an. Und auch Ökonomen hadern mit der Umsetzung.

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Ein Polizist in Rüstung hält fahnenschwingende Demonstranten zurück. (Foto: Tânia Rêgo/ABr)
Wütende Proteste begleiteten die Versteigerung von Ölförderlizenzen Ende OktoberBild: Tânia Rêgo/ABr

Ein hunderttausendfach geklicktes Youtube-Video verdeutlicht, was viele Brasilianer ihrer Präsidentin vorwerfen: Der erste Teil zeigt Dilma Rousseff in einem Wahlkampfspot von 2010, wie sie die endgültige Privatisierung der halbstaatlichen Erdölgesellschaft Petrobras als Verbrechen bezeichnet. Es folgt ein Clip von 2013, in dem sie die Ölförderung durch private Firmen als Schritt in die Zukunft bewirbt.

Nun wird die Debatte um Petrobras und Erdöl in Brasilien ohnehin besonders emotional geführt. "Im Zusammenhang mit Rohstoffen tritt der sonst nicht so präsente Nationalismus der Brasilianer zutage", erklärt der Brite Edmund Amann, der an der Universität Manchester über die brasilianische Wirtschaft forscht. Doch dass ausgerechnet die Arbeiterpartei PT die Förderrechte am größten Ölfeld des Landes einem weitgehend privaten Konsortium überträgt, ist besonders brisant.

Schimpfwort "Privatisierung"

Während der 1990er Jahre profilierte sich die Partei unter dem späteren Präsidenten Lula da Silva über die harsche Kritik an der damaligen Wirtschaftspolitik, bei der große Teile staatlicher Sektoren wie Energie, Bergbau und Telekommunikation privatisiert wurden. Die bekanntesten Beispiele sind wohl der Bergbaukonzern Vale und der Flugzeughersteller Embraer, die heute zu den wenigen Global Player aus Brasilien gehören. "Während seiner Regierungszeit hat Lula da Silva das Wort 'Privatisierung' regelrecht zum Schimpfwort stilisiert", erklärt der brasilianische Ökonom und Unternehmensberater Adriano Pires.

Deshalb meidet wohl auch seine Nachfolgerin Rousseff das P-Wort wie das Feuer. Ganz ohne kommt sie aber nicht aus: Um ihre breit angelegten Sozial- und Konjunkturprogramme zu finanzieren, braucht die PT-Regierung viel Geld. Deshalb will die PT die überfälligen Investitionen in die Infrastruktur in private Hände legen.

Dilma Rousseff rauft sich die Haare (Foto: picture-alliance/dpa)
Präsidentin Rousseff braucht Privateinvestoren, um Wirtschaft und Staatskasse auf Kurs zu bringenBild: picture-alliance/dpa

Konzessionen statt Verkauf

"Gemessen an den 1990er Jahren ist das Volumen der Privatisierung heute eher gering", analysiert der Brite Amann. Und auch die Strategie sei eine andere: Statt Staatsvermögen zu veräußern, vergebe man nun vor allem Konzessionen. "Dennoch handelt es sich auch dabei eindeutig um Privatisierung", urteilt Amann.

Viele PT-Anhänger fühlen sich nun von ihrer Präsidentin betrogen; das klingt auch immer wieder bei den seit Juni anhaltenden Protesten gegen den Reformstau im Lande an. Derweil kann der Unternehmensberater Pires der Idee, bisher staatlich dominierte Sektoren privaten Initiativen zu öffnen, grundsätzlich viel Positives abgewinnen. Allein, er hadert mit der Umsetzung: "Der Staat will nirgendwo seinen Einfluss ganz aufgeben und privatisiert deshalb immer nur einen Teil."

Enttäuschende Auktionen

Die Folgen sind durchwachsen: Die Ölförderrechte im Oktober erzielten lediglich das Mindestgebot, weil nur ein einziges Konsortium zur Versteigerung angetreten war. Der Vorwurf an die Regierung: Eine schlechte Vorbereitung und die Pflichtbeteiligung der halbstaatlichen Petrobras hätten die übrigen Interessenten abgeschreckt.

Unerwartet hohe Einnahmen erzielten hingegen die Auktionen der Betriebskonzessionen für die internationalen Flughäfen von Rio de Janeiro und Belo Horizonte Ende November. Auch hier war eine Minderheitsbeteiligung der staatlichen Betreibergesellschaft Infraer von 49 Prozent vorgeschrieben. Trotz der hohen Gebote sieht Pires auch hier keinen Vorteil: Mit einer Minderheitsbeteiligung könne der Staat keinen Einfluss auf das Geschäft nehmen. Anstatt auf operative Gewinne zu spekulieren, solle sich der Staat auf die Einnahmen konzentrieren, die er bei Konzessionen erzielen kann, rät der in Frankreich promovierte Ökonom.

Milliarden für die Infrastruktur

Finanzminister Guido Mantega rechnet bis Mitte 2014 mit Einnahmen von rund 200 Milliarden Real (70 Mrd. Euro) aus Konzessions-Versteigerungen. Doch selbst wenn die Rechnung aufgeht, kann diese Summe nicht als Gewinn verbucht werden.

Denn im Gegenzug subventioniert der Staat die Konzessionsnehmer über ein Konjunkturpaket, indem die Entwicklungsbank BNDES den Bietern verbilligte Kredite einräumt: Mit dem sogenannten PAC will die regierende Arbeiterpartei PT alleine zwischen 2011 und 2014 fast eine Billion Real (320 Mrd. Euro) in die Infrastruktur pumpen. Nach 2014 will die Regierung mit weiteren 600 Milliarden Real (200 Mrd. Euro) das Wachstum antreiben.

Mantega am Rednerpult, im Hintergrund Häuser des Bauprogramms Minha Casa, Munha Vida auf eine Leinwand projiziert (Foto: Wilso Dias/ABr CC BY 3.0 BR)
Finanzminister Guido Mantega übergibt das Millionste Haus des staatlichen WohnungsbauprogrammsBild: Wilson Dias/ABr/CC BY 3.0 BR

"Der Erfolg der aktuellen Wirtschaft ist durchwachsen", meint der britische Ökonom Amann. Laut Entwicklungsbericht des Planungsministeriums waren bis August 2013 mehr als zwei Drittel der bis 2014 veranschlagten Summe investiert: in Raffinerien, Düngerfabriken und Ölbohrplattformen, Straßen, Häfen und Elektrizitätswerke. Doch die Sichtbarkeit der Ergebnisse lasse noch zu wünschen übrig: "Die Infrastruktur-Investitionen sind gestiegen, das ist ein Erfolg. Aber die Frustration über das Tempo ist doch recht groß." Dieser Umstand könnte Präsidentin Rousseff bei den Wahlen im kommenden Jahr zum Verhängnis werden.