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Pressestimmen von Samstag, 31. Januar 2004

Redaktion Michael Wehling 30. Januar 2004

Urteil gegen französischen Spitzenpolitiker Juppé/ Hin und her um Pflegeversicherung/'Kannibalen'-Prozess in Kassel

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Beachtung findet bei den Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen an diesem Samstag die Verurteilung des Chefs der französischen Präsidentenpartei UMP, Alain Juppé, das Hin und Her der rot-grünen Koalition bei der Reform der Pflegeversicherung sowie das Urteil gegen den so genannten Kannibalen von Rotenburg.

Der frühere französische Premierminister Alain Juppé und Vertraute von Präsident Jacques Chirac ist in einem Korruptionsprozess zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG analysiert:

'... das ist ein Urteil über Praktiken, die im Pariser Rathaus gang und gäbe waren zu einer Zeit, als dessen Chef noch Jacques Chirac hieß. Mühsam hatte der sich in den vergangenen Jahren mit dem Argument verteidigt, er habe von alledem nichts gewusst, und sogar ein Urteil über die Immunität eines amtierenden Staatsoberhauptes erwirkt, um peinlichen Untersuchungen - vorerst - zu entgehen. Jetzt wird diese Debatte neuerlich aufbrechen.'

Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus erläutert:

'Mit dem überraschend hohen Stafmaß ... hat es ein französisches Gericht zum ersten Mal gewagt, dem korruptiven Treiben von Frankreichs Politikern einen Denkzettel zu verpassen. ... Eine beachtliche Ohrfeige ist das Urteil auch für Jacques Chirac ...'

DIE RHEINPFALZ aus Ludwigshafen notiert:

'Sollte das ... Urteil von Nanterre auch in der Revision Bestand haben, wird die politische Karriere von Alain Juppé vernichtet. Das wäre das politische Ende eines der brillantesten und ehrgeizigsten Spitzenpolitiker in Frankreich. Der illegalen Parteienfinanzierung schuldig befunden, muss der 58-Jährige, wohl engste Vertraute von Präsident Jacques Chirac sein Versprechen vom 13. Januar einlösen: Aufgabe des Vorsitzes der mächtigen UMP-Partei sowie Rückzug aus der aktiven Politik.'

Zum nächsten Thema, dem Hickhack in der Koalition um die Pflegeversicherung. Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder betont:

'Das neue Jahr ist gerade einen Monat alt, da hat Rot-Grün den ersten Krach. Vordergründig geht es um das Basta des Kanzlers, mit dem dieser die Pläne seiner Sozialministerin zur Pflegeversicherung kippte, doch das ist nur die Folie. Dahinter verbirgt sich mehr. Denn die Grünen wähnen in der Intervention Gerhard Schröders - zumal vor dem Hintergrund eines Super-Wahljahrs - die Absage an weitere Reformpolitik.'

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN fragen:

'Verliert Gerhard Schröder den Durchblick? Hat sich der Kanzler in den Maschen des mit heißer Nadel gestrickten rot-grünen Reformnetzes verfangen? Kaum hat er seine Sozialministerin bei der Reform der Pflegeversicherung zurückgepfiffen, da rudert er wieder zurück und versichert, ein Ende der Reform bedeute das keineswegs. Hü und hott, rauf und runter, vor und zurück: Das ist der Schröder-Kurs.'

Kritisch äußert sich auch die PFORZHEIMER ZEITUNG.

'Schröder müsste das miserable Umfrage-Ansehen seiner Partei anspornen. Was kann er noch verlieren? Er will Kanzler bleiben, also muss er nach einigen abgewürgten Starts den Regierungs- und Reformmotor endlich zum Laufen bringen. Mit Abwarten und Verzagtheit, mit ständigem Einknicken gegenüber Klientelgruppen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden fährt Schröder den Karren nicht nur in den Dreck, sondern auf den Schrottplatz.'

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU sieht eine Krise des Kanzlers:

'Die Grünen sind mit dem Kopfschütteln über Atom für China und Elite für Deutschland noch nicht fertig, da sehen sie sich bereits mit den nächsten Dechiffrieraufgaben aus Schröders Rätsel-Werkstatt konfrontiert, von der Zuwanderung bis zur Sozialpolitik. Der Wähler schließlich rundet das Stimmungsbild ab, indem er den Demoskopen historisch mickrige Zustimmung zur SPD und der von ihr geführten Regierung signalisiert.'

Die AUGSBURGER ALLGEMEINE führt aus:

'Schlimmer noch als Konfusion und Vertrauensverlust wäre ein heimlicher Abschied von dem undankbaren Reformprojekt. Die Rückkehr zum alten Trott wäre das trauigste Ende dieses politischen Theaters.'

Abschließend zum so genannten Kannibalen-Prozess. Das Landgericht Kassel hat einen 42-jährigen, der einen Mann mit dessen Einverständnis tötete, verstümmelte und teilweise verzehrte wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Die LÜBECKER NACHRICHTEN bemerken:

'Ein Urteil, das Widerspruch und Unmut auslösen muss. ... Wirklich nur Totschlag? Eines der schrecklichsten, bizzarsten und unmoralischsten Verbrechen der jüngeren Geschichte wird nicht mit der härtesten Strafe geahndet, die möglich ist? Einspruch, Euer Ehren.'